Der Freistaat droht der Regierung in Berlin mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.
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München/Wien. Rund 800 Jahre ist der bayerische Löwe alt. Beim Wappentier des nunmehrigen Freistaats handelt es sich um ein Erbe der Wittelsbacher. Sie hatten dort bis zum Jahr 1918 das höchste weltliche Amt inne. Das - neben der blau-weißen Raute - urbayerische Symbol ist also eines der Pfalzgrafen bei Rhein. Spötter würden heute von Zuwanderern sprechen. Jedenfalls versinnbildlichte der Löwe nach Gründung der BRD das Verhältnis zu den Regierungen in Bonn beziehungsweise Berlin: bloß nicht zahm, nicht zimperlich bei der Durchsetzung eigener Interessen sein.
Seehofers Eskalationsspirale
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer führt diese Tradition fort, seit Wochen fährt er seine Krallen gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel aus - nunmehr in bisher nie da gewesener Vehemenz. Am Freitag drohte er der Kanzlerin mit einem Gang vor das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht. Sollte der Bund nicht bald wirksame Maßnahmen zur Begrenzung des Zuzugs von Asylbewerbern ergreifen, behalte sich Bayern den Klageweg vor, verlautbarte die bayerische Staatskanzlei am Freitag nach einer Kabinettssitzung. "Ich sehe nichts, worauf sich die bayerische Staatsregierung stützen und Recht geltend machen könnte; weder das Instrument des Bund-Länder-Streits noch verfassungsrechtliche Rechtsfiguren wie die Bundestreue", erklärt Walther Michl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht der Ludwig-Maximilians-Universität München gegenüber der "Wiener Zeitung".
Seehofer treibt die Eskalationsspirale gegen die Kanzlerin mit seiner Klagsdrohung weiter nach oben. Dazu gehört auch der Begriff "Notfall-Maßnahmen" zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Doch gebe es als Abweichung von den allgemeinen Regeln rechtlich nur den Verteidigungsfall. Und für den brauche es den bewaffneten Angriff, weist Michl hin.
Eingriff in Bundeskompetenz
Bereits im Vorfeld der Kabinettssitzung vom Freitag kündigte er via "Bild"-Zeitung an, aufgrund des starken Zustroms - 225.000 Asylsuchende kamen ihm zufolge alleine von 1. September bis 3. Oktober in Bayern an - Flüchtlinge nach Österreich zurückzuschicken. Hier verspricht Seehofer etwas, das er nicht halten kann: "Die Grenzsicherung und das gesamte Einwanderungswesen sind ausschließliche Kompetenz des Bundes, und zwar nicht nur gesetzgeberisch, sondern auch beim Vollzug. So wird die Grenzsicherung von der Bundespolizei durchgeführt, die wiederum nur gegenüber dem Bundesinnenministerium weisungsabhängig ist", sagt Jurist Walther Michl. Die Letztentscheidung liegt demnach bei CDU-Innenminister Thomas de Maizière. Von Seehofers großspuriger Ankündigung via Boulevardpresse blieb nach der bayerischen Kabinettssitzung nur die Forderung an den Bund übrig, dieser möge Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen.
Rein rechtlich muss ein Asylantrag geprüft werden, wenn der Asylsuchende deutschen Boden betritt. Die Flüchtlinge könnten also nur zurückgewiesen werden, wenn sie sich auf dem Grenzstreifen zu einem sicheren Drittstaat wie Österreich befinden. "Die Infrastruktur, um direkt an der Grenze zu kontrollieren, ist aber längst abgebaut worden. In Deutschland wird fünf Kilometer nach der Grenze bei einem Autobahnkreuz kontrolliert, auf der parallel laufenden Bundesstraße gar nicht", sagt Michl, der sich auch persönlich ein Bild im deutsch-österreichischen Grenzgebiet gemacht hat. Doch rechtsstaatliche Aspekte spielen in der Flüchtlingskrise nur mehr eine untergeordnete Rolle, das ist mit der Aushebelung des Dublin-Abkommens zur Aufnahme von Flüchtlingen und Prüfung deren Anträgen offensichtlich.
Steigende Popularität
Für den Machtpolitiker Seehofer scheint die Schrumpfung zum bayerischen Papierlöwen schier unerträglich. Während sich Kanzler Werner Faymann und seine Amtskollegin Merkel über die Weiterleitung beziehungsweise Aufnahme von Flüchtlingen arrangieren, bleibt Bayern enorme Arbeit vor Ort. Denn die Flüchtlinge werden im Freistaat registriert, bevor sie nach dem "Königsteiner Schlüssel" in die insgesamt 16 Bundesländer kommen. Seehofer fordert die Errichtung bundesweiter "Drehkreuze", von denen aus die Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt werden.
Doch der bayerische Ministerpräsident ist mit gutem politischen Instinkt ausgestattet, früh erkannte er die Skepsis in der Bevölkerung für Merkels Kurs - den die SPD teilt, auch sie will die Zahl der Flüchtlinge begrenzen. Seehofers Popularitätswerte sind zuletzt stark gestiegen - allerdings auf niedrigem Niveau -, Merkels sinken hingegen. Schon im September verbuchte der Bayer einen großen Erfolg: Auf seinen Druck hin begann Deutschland wieder mit Grenzkontrollen. Es bleibt abzuwarten, wohin Seehofers verbale Eskalationsstrategie Merkel nun inhaltlich führt.