Landesfraktion berät über Stoibers politisches Schicksal. | Ministerpräsident könnte über seine Selbstherrlichkeit stolpern. | Berlin. Alles begann am Abend des 22. September 2002. Edmund Stoiber, Spitzenkandidat der CDU/CSU, war gegen Gerhard Schröder angetreten, hatte 3,4 Prozent zugelegt, den seit 22 Jahren andauernden Abwärtstrend der Union umgedreht und mit der SPD gleichgezogen. Trotz hoher Verluste konnte sich Schröder durch Überhangmandate im Sattel halten. Stoiber blieb tragischer Wahlgewinner und büßte den Nimbus des Unbesiegbaren ein.
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Den zweiten Schicksalsschlag fügte er sich selbst zu: Am 1. November 2005, mitten in den Verhandlungen um die Kabinettsbildung einer großen Koalition, erklärte er plötzlich, doch nicht Wirtschaftsminister unter Angela Merkel werden und lieber im sicheren Bayern bleiben zu wollen. Seine offizielle Begründung, Franz Müntefering habe schließlich auch den SPD-Vorsitz zurückgelegt, hat er wohl selbst nie geglaubt.
Leben nach Stoiber
Indes waren unter den bayrischen Diadochen die Blütenträume schon allzu sehr gereift; nur zähneknirschend legte man sie ob der unerwarteten Rückkehr des Chefs auf Eis - vorläufig. Die Vorstellung, dass es an der Isar auch ein Leben nach Stoiber geben könne, hatte allerdings Wurzeln geschlagen.
Das Drama nimmt griechisch-archaische Züge an, als eine Penthesilea aus dem fränkischen Fürth, die schöne Landrätin Gabriele Pauli, offen ausspricht, was andere längst unter der Tuchent tuscheln: Stoibers Zeit sei abgelaufen, er möge sich dem Votum der Parteibasis stellen, das Volk verlange nach einem neuen Gesicht. Die Trutzburg in der Bayerischen Staatskanzlei schickt daraufhin einen Spitzel aus, der den Alkohol- und Männerkonsum der Aufmüpfigen ergründen soll. Schon seltsam, dass ausgerechnet Stoibers Büroleiter die Drecksarbeit erledigt.
Welch ein Glück für die Medien, dass hier gleich ein ganzes Bukett von Klischees zusammentrifft: Der konservativ-biedere Familienvater, der staubtrockene, medienferne, doch machtbewusste Balbulus´ (lat.: Stammler) trifft auf die eloquente, selbstbewusste, emanzipierte Lady! Schon gegen Merkel hat er blass ausgesehen, und nun tappt er ins Netz der listigen Fürtherin, die der Nachfolgegeneration angehört und das Internet für ihre politischen Zwecke einsetzt. Erfolgreich: Ihre Forderung nach einer Befragung der Basis über den Spitzenkandidaten für die Bayernwahl 2008 stürzt die CSU in ihre tiefste Krise.
Stoiber und Pauli leben in verschiedenen Welten. Er seit 38 Jahren mit seiner Karin verheiratet, sie zweimal geschieden; er mit traditionellem Familienbild, sie Alleinerzieherin; er Jurist und Laufbahnbeamter, sie Politologin und Unternehmerin. Natürlich lässt sie sich die Sottise nicht entgehen: "Mir scheint, dass er (Stoiber, Anm.) im Umgang mit Frauen in politischen Ämtern ein Problem hat." Mit 33 Jahren entreißt die CSU-Politikerin der SPD das Landratsamt des Landkreises Fürth, wird jüngste Landrätin Deutschlands, steigert ihr Wahlergebnis seither kontinuierlich und promoviert ganz nebenher zum Dr. rer. pol. ausgerechnet mit einer Dissertation über politische Public-Relations.
Viele Jäger sind des Hasen Tod. Der sich gutmütig gebende SPD-Chef Kurt Beck wittert die Chance, ein wenig Kleinmünze herauszuschlagen und schüttelt den Kopf über den weidwunden Hauptkritiker der Gesundheitsreform. Tatsächlich sieht es so aus, als sei der Widerstand Stoibers gegen den Entwurf der SPD-Gesundheitsministerin angesichts der Tumulte in den Reihen der CSU plötzlich verstummt.
Ein fataler Fehler
Viel schmerzhafter aber sind die Schlagzeilen, von links bis rechts. Stoibers Tage als Ministerpräsident und CSU-Chef scheinen gezählt. Noch retten die Heiligen Drei Könige´, der einflussreiche Alois Glück, Fraktionschef Joachim Herrmann und Landesgruppenchef Peter Ramsauer, im grenznahen Wildbad Kreuth die Situation und scharen sich trutzig um ihren Edmund.
Da begeht Stoiber seinen dritten, womöglich letalen Fehler: Von den Granden noch einmal aufs Pferd gebunden, verkündet er, nicht nur 2008 zur Landtagswahl erneut antreten, sondern gleich bis 2013 Ministerpräsident bleiben zu wollen. Dass er dann 72 Jahre alt sein wird, ist zwar kein wirkliches Argument - Adenauer wurde mit 75 Bundeskanzler -, in der angeheizten Stimmung wirft man es dennoch in die Waagschale.
Solche Selbstherrlichkeit musste die Landtagsfraktion empören, denn nach der CSU-Satzung hat allein sie das Sagen, wer Spitzenkandidat wird. Sie zwei Tage vor ihrer Neujahrsklausur so zu präjudizieren, ist ein schwerer Fauxpas.
Fazit: Die Rettungsaktion ging nicht nur schief, sondern beschleunigte noch den Katastrophenverlauf. Es liegt in der Eigendynamik solcher Prozesse, dass, wie immer die weitere Entwicklung sein mag, Edmund Stoiber extrem schwer beschädigt bleiben wird. Selbst wenn er sich noch halten könnte, bleibt es fraglich, ob er die CSU aus ihrem Tief heraus- und bis Herbst 2008 eine erneute Mehrheit im Landtag holen kann. Derzeit würde die CSU gerade noch 45 Prozent bekommen und damit erstmals seit vier Jahrzehnten unter die 50 Prozent sinken. Zwei Drittel der befragten Bayern wollen Stoiber loswerden.
Bayern ist eines der erfolgreichsten deutschen Bundesländer: Kaum Arbeitslose, wenig Schulden, ausgeglichener Haushalt, boomende Wirtschaft mit wachsendem High-Tech-Anteil, München ist eine internationale Medien-, Wissenschafts- und Wirtschaftsmetropole, die Bildungssituation im Lande wird bestens benotet. Stoiber hat seine Heimat gut regiert, hat die Partei aus dem Amigo-Sumpf´ geholt und ihr ausschließlich Wahlsiege - bis zur Zweidrittelmehrheit - beschert. Doch Dankbarkeit war noch nie eine politische Kategorie.
<SEITENWECHSEL
Gerüchteküche brodelt
Trotz gebetsmühlenartiger Solidaritätsadressen stehen genügend Nachfolger bereit, einige von ihnen in den Startlöchern. Und selbst dies ist ein Verdienst des tragischen Helden, hat er sich doch stets um die Pflege des politischen Nachwuchses bemüht. Die Spekulationsküche steht unter Dampf: Immer wieder wird Günther Beckstein genannt, profilierter Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident. Nur zwei Punkte sprechen gegen ihn: Er ist Franke (Nürnberg) in einer bayrischen Mehrheit und nur zwei Jahre jünger (63) als Stoiber. Deshalb meinen manche, dass an die Parteispitze ein Jüngerer treten solle, etwa Erwin Huber, zurzeit bayrischer Wirtschaftsminister. Auch er zählt inzwischen satte 60 Lenze. Horst Seehofer wirkt mit seinen 58 Jahren dagegen noch beinahe jugendlich, hat sich aber noch am Sonntag bedingungslos hinter Stoiber gestellt.
Niemand, auch nicht Beckstein, will gegen Stoiber kandidieren. Was freilich nicht ausschließt, ihn nach freiwilligem Rücktritt zu beerben. Doch danach sieht es noch nicht aus. Aus Kreisen der Landtagsfraktion hört man unterschiedliche Signale: Einzelne Landtagsabgeordnete, meist Hinterbänkler, wagen sich aus der Deckung. Unter den Fränkischen´ hat Beckstein eine starke Lobby, doch ist schwer zu beurteilen, ob sie mehrheitsfähig ist.
Ginge es nach der Popularität in der Bevölkerung, hätten sowohl Seehofer als auch Beckstein beste Chancen. Eine Trennung des Staatsamtes vom Parteiamt würde Seehofer wohl nur akzeptieren, wenn er Parteivorsitzender würde, denn dann könnte er auch Bundesminister bleiben.
Stoiber kämpft
Allen Kaffeesud-Lesereien zum Trotz gibt sich Stoiber noch nicht geschlagen. Mit Herrmann und Glück hat er am Montag Wege aus der Misere beraten. Es gilt, den bevorstehenden Sturm in der Landtagsfraktion zu überdauern. In diesen Stunden tagt sie in Kreuth und entscheidet über Stoibers Schicksal. Der Regierungschef hatte sich durch seine Wahlerfolge zu einsamen Entscheidungen verleiten lassen und damit viele Sympathien bei den Abgeordneten verspielt, die nicht gern aus der Zeitung informiert werden.
Politische Beobachter rechnen immer mehr mit einer Kompromissformel, die Stoiber einen Abgang in Würde ermöglicht. Keiner weiß allerdings, wie die aussehen könnte. Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos kann nur orakeln: "Er wird so lange Parteivorsitzender und Ministerpräsident sein, wie ihm die Kraft reicht, diese schwere Aufgabe zu tragen", erklärte er in einem Zeitungsinterview.