Entgegen einem - gerade hierzulande - weit verbreiteten Vorurteil sind die allermeisten EU-Beamten in Brüssel nicht überbezahlte Faulenzer, sondern gut ausgebildete, tüchtige und leistungsbereite Profis (die dafür freilich auch recht üppig entlohnt werden). Das ewige Nörgeln über die EU-Bürokraten entbehrt daher, zumindest weitestgehend, einer realen Grundlage.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Das heißt freilich nicht im Geringsten, dass die (rechtlich korrekte) Forderung der Brüsseler EU-Bediensteten nach einer Erhöhung ihrer Bezüge um 3,7 Prozent keine Dummheit wäre. Indem sie bis hin zur Streikdrohung auf dieser - aus einem dafür vereinbarten Algorithmus errechneten - Anhebung beharren, demonstrieren sie nur eines: wie weit sich der Planet Brüssel von der Lebenswirklichkeit aller Europäer, die nicht zufällig EU-Beamte sind, wegentwickelt hat.
Geradezu exemplarisch belegt das der herzzerreißende "Bericht eines Betroffenen" (EU-Beamten offenbar), den der "Standard" jetzt publiziert hat. Zwar durchleidet Europa derzeit bekanntlich die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, die Wirtschaftsleistung (aus der Beamtenbezüge finanziert werden) schrumpft dramatisch, Millionen verloren ihre Arbeit und EU-Staaten droht die Pleite - aber der "Betroffene" nennt die Kritik an der geforderten Gagenanhebung eine "künstliche Empörung", um "Neidreflexe zu provozieren". Denn: Die 3,7 Prozent seien ja schließlich Ergebnis einer "festgeschriebenen Formel".
Wir lernen: Da kann Europa wirtschaftlich zum Teufel gehen, eine festgeschriebene Formel für die Beamtenbezüge bleibt eine festgeschriebene Formel. Dass unter der Wucht der Ereignisse eine Petitesse wie der Maastricht-Vertrag, der ja bloß das Fundament unserer Währung ist, nahezu totes Recht geworden ist, mag ja noch angehen - aber der Rechtsanspruch auf noch mehr Geld für Beamte, der bleibt ein Rechtsanspruch. So wenig Sinn für die Wirklichkeit hatten zuletzt die greisen Mandarine der DDR im Sommer 1989.
Wer als pragmatisierter EU-Beamter mit einem Spitzeneinkommen von bis zu 20.000 Euro monatlich (und das günstig versteuert) nicht zur Kenntnis nehmen will, dass plus 3,7 Prozent eine veritable Provokation des europäischen Souveräns bedeuten, ist ungefähr so einsichtig wie die Chefs von Pleitebanken, die nach der Rettung durch den Staat auch noch Millionen-Boni nachfordern. Auch dieser Anspruch ist ja meist Ergebnis einer "festgeschriebenen Formel".
Freilich verlieren nicht nur Beamte unter den Bedingungen des Planeten Brüssel oft den Bezug zur europäischen Lebenswirklichkeit. Auch Parlamentarier oder Journalisten neigen nach langen Brüssel-Jahren gelegentlich dazu, über ihrem Engagement für die europäische Integration - ein in der Tat grandioses politisches Jahrhundertbauwerk - zu vergessen, wie jene leben, die etwa an einer Billa-Kasse sitzen.
Europas Eliten in Brüssel erwecken deshalb manchmal den Eindruck, es sei Ihnen daran gelegen, die gegen sie gerichteten Vorurteile mit handfesten Fakten zu untermauern. Sie dienen damit weder der EU noch sich selbst, sondern nur den Gegnern Europas.