Washington - "Was kommt als Nächstes, Konzentrationslager?" stand auf dem Protestplakat, das Demonstranten vor dem Büro der US-Einwanderungsbehörde INS in Detroit vergangene Woche hoch hielten. Tausende Männer aus überwiegend moslemischen Ländern standen im ganzen Land Schlange vor den INS-Büros, um die neue Meldepflicht inklusive Foto und Fingerabdrücken zu erfüllen. Die meisten waren nervös. "Mir lief ein Schauer über den Rücken", sagte der syrische Arzt Khattar Aizooky, der seit elf Jahren in den USA lebt und arbeitet, dem "Philadelphia Inquirer" - "Wie in Syrien".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center klagen Moslems in den USA über Diskriminierung. Unmittelbar nach den Anschlägen wurden zahlreiche Männer mit "arabischem Aussehen" aus Flugzeugen entfernt. 1200 wurden festgenommen und teilweise monatelang verhört und festgehalten. Niemand wurde bisher wegen Terrorkontakten angeklagt. Geschäfte wurden angegriffen, und viele Moslems beschwerten sich über Verbalattacken auf offener Straße. In der Meldepflicht sehen Bürgerrechtsgruppen und arabische Vereine eine staatliche Diskriminierungskampagne. "Es geht Angst und Schrecken um", sagte der Direktor der moslemischen Gruppe "Muslim Public Affairs Council" in Los Angeles, Salam al Marayati, der "Los Angeles Times". "Die Leute fürchten, dass dies nur der Anfang ist und irgendwann alle im Internierungslager landen."
Bis vergangenen Freitag mussten sich alle Männer über 16 Jahre aus zwölf überwiegend moslemischen Ländern und Nordkorea melden - rund 15.000, schätzten die Behörden. Eine erste Meldefrist für Bürger anderer moslemischer Länder war im Dezember abgelaufen. Bis Ende Februar müssen sich alle Männer aus Saudiarabien und Pakistan registrieren lassen. Wer sich nicht meldet, kann festgenommen und deportiert werden, warnt die Behörde.
"Leute wegen ihrer Herkunft oder Religion herauszupicken ist ein Angriff auf die Bürgerrechte und Faschismus!", empörte sich die Mathematiklehrerin Bonnie Bluestein in Pasadena in Kalifornien. Zusammen mit Dutzenden von Gesinnungsfreunden postierte sie sich als "Menschenrechtsbeobachter" vor einem INS-Büro, um den Prozess zu überwachen. Unter den Freiwilligen waren auch zahlreiche Mitglieder jüdischer und schwarzer Bürgerrechtsgruppen.
Die Einwanderungsbehörde weist die Vorwürfe zurück. Nach dem "Patrioten-Gesetz", das kurz nach den Terroranschlägen von 2001 verabschiedet wurde, müssen in drei Jahren alle 35 Millionen ausländischen Besucher in den USA erkennungsdienstlich registriert werden. Es handle sich um eine erste Phase des Programms, das schließlich Ausländer aller Nationalitäten umfasse.
Die Menschenrechts- und Gefangenenhilfe-Organisation amnesty international (ai) wirft der US-Regierung vor, möglicherweise internationale Konventionen zu verletzten, die Diskriminierung verbieten. Im Dezember waren rund 500 Männer festgenommen worden, die sich mit nicht ganz einwandfreien Papieren gemeldet hatten. Mehrere landeten tagelang in Gefängnis. Einige erhielten Gerichtsvorladungen zur Überprüfung ihrer Aufenthaltsgenehmigungen.
Dass die Meldepflichten mutmaßliche Terroristen oder Informationen über Terrorkomplotts zu Tage fördern, halten Kritiker ohnehin für unwahrscheinlich. "Welcher Mann wird sich jetzt noch melden, wenn er weiß, dass er festgenommen oder deportiert wird, wenn sein Visum abgelaufen ist?" fragt Dozent Sadiq Reza von der Rechtsfakultät in New York. "Die Vorstellung, dass die Regierung den Terrorismus damit stoppen kann, ist absurd", sagte die Terrorismusexpertin der Harvard-Universität, Juliette Kayyem. "Wir machen die zu Feinden, die unsere Freunde seien sollten", meint Kareem Shora, Rechtsberater des Arabisch-Amerikanischen Anti-Diskriminierungs-Komitees.