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Tragödien bringen auch verfeindete Länder einander näher: Weniger das offizielle der Routine entsprechende Beileidstelegramm Pakistans an den indischen Ministerpräsidenten Atal Bihari Vajpayee zur Erdbebenkatastrophe von Gujarat, sondern das direkte Hilfsangebot des pakistanischen Hochkommissars in New Delhi wird in Indien als Anzeichen eines Tauwetters zwischen den seit Jahren in den Kaschmir-Konflikt verwickelten Staaten gewertet.
Die indische Presse mutmaßte Sonntag, dass das offizielle Beileidtelegramm Pakistans in einer Fußnote auch eine vertrauliche Botschaft an Vajpayee beinhaltet. Ebenfalls in die Kategorie eines Näherrückens wird die Überweisung eines namhaften Geldbetrags an die betroffene Region durch das sonst gegenüber Indien eher zurückhaltende China eingeordnet. Schwierigkeiten hat Indien allerdings mit dem Hilfsangebot Taiwans, dessen Regime es nicht anerkennt.
In New Delhi verweist man darauf, dass seit Ende der Achtziger-Jahre etwas Platz gegriffen hat, was man als "Seismopolitik" bezeichnet. Als Präsident Bush einen seiner Söhne und einen Enkel 1987 mit Hilfsgütern nach der Erdbebenkatastrophe in die damalige Sowjetrepublik Armenien entsandte, sei dies ein Zeichen dafür gewesen, dass der Kalte Krieg zu Ende gehe. Es wird auch auf die Überraschung verwiesen, die die rasche Hilfe Griechenlands an die ungeliebte Türkei anlässlich des Erdbebens im vergangenen August auslöste. Als einen Monat später ein Beben Griechenland erschütterte, half Ankara so gut es konnte. Hier führte das Tauwetter sogar zu einem gemeinsamen Entwurf einer UNO-Resolution.