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Es ist einigermaßen schwierig, in Zeiten wie diesen nicht nur den Überblick, sondern auch noch kühlen Kopf zu bewahren. Und es hat nichts mit einer Täter-Opfer-Umkehr zu tun, wenn einen ein mulmiges Gefühl angesichts der unerbittlichen Schnellgerichtsbarkeit befällt, die auf den Sozialen Medien tagein tagaus selbstverliebt Hof hält.
Denn ebenso gilt: Jede Form eines Übergriffs, sei er verbaler oder körperlicher Natur, gegen Frauen (oder auch Männer, erinnert sei an den US-Schauspieler Kevin Spacey) ist ein Verstoß gegen die Integrität der betreffenden Person.
Zurückhaltung ist, und dies ist eine wirkliche Tragödie für unser Zusammenleben, eine Tugend, die in jeder Hinsicht dem Untergang geweiht scheint.
Das entbindet eine Gesellschaft, die öffentliche wie die private, nicht davon, notwendige Unterscheidungen zu treffen. Ein verbaler Übergriff ist kein körperlicher, und eine körperliche Berührung ist keine Gewalttat. Sicher, das sind alles Selbstverständlichkeiten, und trotzdem hat man das Gefühl, sie ständig in Erinnerung rufen zu müssen.
Ebenfalls richtig ist, dass die Causa Peter Pilz ein denkbar ungeeigneter Fall ist, diese Entwicklung der erbarmungslosen Schnellgerichtsbarkeit zu beklagen. Immerhin hat er als Politiker wesentlich dazu beigetragen, dass diese Form des öffentlichen Blitzurteils bereits im analogen Zeitalter Einzug gehalten hat. Und nicht selten war die Beweislage sogar dünner, als sie sich nun in der Causa Pilz darstellt.
Pilz ist nicht der erste und wird nicht der letzte Politiker sein, dem solche oder ähnliche Vorwürfe gemacht werden. Haben diese Substanz, sind Konsequenzen unvermeidlich. Doch wir reden hier nicht zwingend von der ewigen Verbannung, sondern, je nach Schwere des Delikts, von einem büßenden Fegefeuer auf Zeit. Eine Rückkehr in das Rampenlicht der Öffentlichkeit muss möglich bleiben. Verhältnismäßigkeit und Augenmaß sind nämlich zwei weitere Tugenden, die es wert wären, in die neuen Zeiten mitgenommen zu werden.
Und um das Verhalten von Pilz in den vergangenen Tagen zu bewerten, muss man sich nur vorstellen, mit welch beißendem Spott wohl Pilz selbst darauf reagiert hätte. Jedenfalls dann, wenn es einen anderen Politiker beträfe.
Mehr ist gar nicht notwendig.