Die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk über Russland.
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"Wiener Zeitung": Putin hat am Freitag ganz einfach bei Obama angerufen, um über die Krim-Krise zu reden. Wenn sich Putin jetzt verwählt hätte und er wäre bei Ihnen gelandet - was hätten Sie ihm gesagt?Tanja Maljartschuk: Ich hätte ihm gesagt, dass er uns in Ruhe lassen soll. Aber ich muss gestehen, dass ich mir so ein Gespräch überhaupt nicht vorstellen kann. Ich habe zu viel Hass in mir, vielleicht würde ich einfach weinen oder schreien. Das ist natürlich kein Dialog, aber ich bin in dieser Sache ohnehin nur eine Randfigur. Für mich ist Putin keine reale Person, sondern die Vorstellung vom Bösen schlechthin. Dem Bösen, das jetzt der Ukraine droht. Eine ganz reale Bedrohung für ukrainische Familien, für ukrainischen Grund und Boden. Die Bedrohung für die Existenz des Landes ist so groß, dass ich nur Hass und Angst spüre.
In Ihrem Brief "Russland, mein Russland", der in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienen ist, schreiben Sie, dass Sie Russland nicht hassen wollen; dadurch würde es nur größer werden als es ohnedies schon ist. Deshalb schreiben Sie am Schluss, dass Sie Russland lieben. Was die Person Putin betrifft, geht das aber nicht?
Das geht nicht. Vielleicht war ich auch zu mutig. Der Hass ist deshalb so groß, weil ich die Geschichte der Ukraine zu gut kenne. In unserer Vergangenheit war es immer so, dass wir uns verteidigen mussten gegen Russland. Ich frage mich: Warum muss das so sein? Aber Russland gefällt, wenn es gehasst wird. Der Hass ist Futter für dieses imperialistische Land. Ich versuche das nüchtern von außen zu sehen, aber das geht nicht. Auch deshalb, weil Russland in mir sitzt.
Der Hass ist also auch eine Art Selbsthass?
Ja. Was war die ukrainische Idee im gesamten vergangenen Jahrhundert? Tatsache ist, die Ukraine ist nicht Russland. Aber was ist die Ukraine dann? Nicht-Russland sein ist zu wenig, um Ukraine zu sein. Denn Nicht-Russland ist absurderweise Russland. Wir haben die Ukraine falsch gedacht, weil wir den russischen Anteil der Ukraine übersehen haben. Wir haben so getan, als bestünde die Ukraine nur aus Galizien. Am Maidan waren sehr viele Russischsprachige. Die Sprachenfrage wird von Russland auch benutzt, um die Ukrainer zu spalten.
Waren Sie während des Umsturzes in der Ukraine?
Nein. Ich habe verstanden, dass meine Revolution hier stattfindet, das ist mein Schicksal. Ich kann nicht in die Ukraine fahren, ich bin hier nützlicher.
Und was haben Sie hier in Österreich gemacht?
Zuerst haben wir in Wien oft demonstriert, Mahnwache vor der ukrainischen Botschaft gehalten. Der Maidan war überall auf der ganzen Welt, nicht nur in Kiew. Wir haben gezeigt, dass wir mit den Menschen auf dem Maidan solidarisch sind. Wir haben für die Verletzten Geld gesammelt.
Als Sie sahen, wie auf die Menschen am Maidan geschossen wurde und viele getroffen zusammenbrachen - wie ist es Ihnen dabei gegangen?
Das war das Schlimmste, was ich in meinem Leben erlebt habe. Auch, weil man das online sehen konnte. Du sitzt nur in der Wohnung und denkst darüber nach, wie viele Leichen in der Wohnung Platz finden könnten. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Menschen auf dem Maidan das erlebt haben. Das ist ein Trauma, das noch lange wirken wird. Ich kenne von den Getöteten persönlich niemanden, aber es gab indirekt Bekannte. Es ist furchtbar. Sehen Sie das anders?
Nein, natürlich nicht.
Und zuerst hat es geheißen, dass die Schützen Russen gewesen wären. Es stimmt aber nicht, es waren Ukrainer.
Ich war vorhin bei der Veranstaltung "Gespräch über Kindheit", bei der auch Sie am Podium waren. Robert Menasse auch, und der hat gesagt, dass er das Gefühl nicht loswird, immer auf gepackten Koffern zu sitzen. Immer bereit, sofort abzureisen. Das lässt sich aus seiner Biografie überhaupt nicht ableiten, das wurde ihm von seinen Verwandten herübergereicht, die in der Nazi-Zeit emigrieren mussten. Sie haben Ihre Großmutter beschrieben, die immer die Brotbrösel unter dem Tisch aufgesammelt hat, weil sie die große Hungersnot der 1930er Jahre, den Holodomor, nicht loswird. Ist vielleicht deshalb in der Ukraine die Angst vor Vernichtung so groß?
Ich habe da sicher einiges ererbt, nicht nur von meiner Großmutter. Wir waren immer Opfer. Natürlich gab es auch Helden, die sinnlos gestorben sind. In der ukrainischen Geschichte gibt es immer die Helden, die sinnlos sterben, weil die Unabhängigkeit nicht erreicht wurde. Und die Opfer. Aber wir haben nie etwas gewonnen. Wenn Du nur Verluste erlebst, dann wirst Du traumatisiert. Ich bin schwer traumatisiert, auch mit meiner Geschichte.
Erklärt das Ihre Texte, die oft sehr düster sind?
Ich glaube schon. Da ist dieser Hass, der tausend Jahre alt ist. Aber mir ist klar: Je mehr ich hasse, desto schwächer bin ich. Ich gehe in Wien durch die Straßen und höre Menschen, die russisch sprechen, und ich sehe, dass das ganz normale Menschen sind. Aber trotzdem würde ich sie gerne fragen, warum 80 Prozent der Russen Putin gut finden, warum sie Ukrainer töten wollen. Wir sind schon so weit, dass wir miteinander nicht mehr wirklich reden können.
Sie haben vorher gesagt, Ukraine ist nicht Nicht-Russland. Aber was ist die Ukraine dann?
Ich weiß das bis heute nicht. Was bin ich als Ukrainerin? Das ist schwierig, weil wir immer okkupiert waren. Es gab immer Befreiungsbewegungen, die dann vernichtet wurden. Wir haben nach dem Ersten Weltkrieg drei Jahre gegen die Russen gekämpft. 1937 wurden mehr als 300 ukrainische Schriftsteller getötet. Wenn ein Volk ohne Elite ist, was soll dieses Volk dann machen? Dann mussten Millionen Bauern ihren Grund und Boden hergeben und als Sklaven arbeiten. Das Gesellschaftssystem wurde zerstört. In den 1960er und 70er Jahren gab es wieder Deportationen nach Sibirien. Dann wurden wir unabhängig, aber wir sind eine geköpfte Gesellschaft.
Die Ukraine kämpft gerade jetzt verzweifelt um ihre Existenz.
Ja, die Jungen, meine Generation, haben diese Revolution bewerkstelligt. Und jetzt droht uns wieder diese physische Gefahr von außen. Geschichte wiederholt sich, es ist immer wieder dasselbe.
Die USA und Europa protestieren ja lautstark gegen die Annexion der Krim, die Nato schickt sogar Kampfflieger nach Osteuropa. Beruhigt Sie das?Oder haben Sie das Gefühl, dass die Ukraine verraten werden könnte?
. . . was ja immer wieder in der Geschichte der Fall war. Wir wurden immer verraten. Die Welt hat zugeschaut, schon als wir nach 1918 drei Jahre gegen die russischen Kommunisten gekämpft haben. Und Russland hat ein massives Interesse an der Ukraine. Ohne die Ukraine gibt es kein großes, mächtiges Russland. Aber es geht jetzt gar nicht mehr um die Ukraine sondern darum, Putin einen Riegel vorzuschieben. Sonst macht er immer weiter.
Sie haben nicht das Gefühl, dass der Westen seine schützende Hand über die Ukraine hält?
Ich fühle mich nicht beschützt.
Sie leben und schreiben jetzt in Österreich. Sind Sie mit der Haltung der hiesigen Politiker zur Krim-Krise einverstanden?
Österreich verhält sich neutral und ist ziemlich vorsichtig. Ich sehe das wie eine Ausländerin. Mir hat einmal jemand gesagt, die österreichische Außenpolitik sei mit Bruno Kreisky gestorben. Aber ich war sehr glücklich, als ich gehört habe, dass Dmytro Firtasch (ukrainischer Oligarch, Anm.) in Wien verhaftet wurde. So glücklich und so stolz auf Österreich war ich noch nie.
Wer soll die Führung in der Ukraine übernehmen?
Wir wollen Reinigung in der Politik. Niemand, der früher in der Politik war, darf das Ruder übernehmen. Alle alten Politiker müssen weg. Für die Übergangszeit sind auch Politiker akzeptabel, die das alte System kennen. Es geht aber darum, einen neuen Staat zu bauen. Julia Timoschenko, der Unternehmer Petro Poroschenko - die gehören alle zum alten System. Aber das Volk wird die Politiker künftig kontrollieren, es wird die Politiker erziehen. Ich will nicht mehr diese Götter haben, Politiker sind nur Diener. Das Volk ist wie Vieh. Die Sonderpolizisten auf dem Maidan haben die Leute "das Vieh" genannt. Es sollte eigentlich umgekehrt sein. Wir sind die Herren im Land.
Porträt
Tanja Maljartschuk wurde 1983 in Iwano-Frankiwsk geboren. Dort studierte sie Philosophie an der Nationalen Wassyl-Stefanyk-Universität. Seit 2011 lebt und arbeitet sie in Wien. 2004 erschien ihr erstes Buch "Endspiel Adolfo oder eine Rose für Lisa" im Verlag Lilea. 2006 folgte "Von oben nach unten". Der Erzählband "Neunprozentiger Haushaltsessig" kam 2009 auf den Markt. Gemeinsam mit zehn weiteren Autoren arbeitete Maljartschuk an dem Werk "Wodka für den Torwart", das elf Geschichten rund um das Thema Fußball enthält. 2013 wurde ihr vorläufig letztes Werk, der Roman, "Biografie eines zufälligen Wunders" veröffentlicht.
Am vergangenen Samstag war Maljartschuk zu Gast bei den "Rauriser Literaturtagen". Dort bestritt sie mit Robert Menasse und Andrea Grill ein "Gespräch über Kindheit". Moderiert wurde die Veranstaltung von der langjährigen Leiterin des Literatur-Events, Brita Steinwendtner.
Mit dem Autor Juri Andruchowytsch, der zu den Wortführern des Maidan gehörte, und den Schriftstellern Oleksandr Kabanov, Oksana Forostyna, Natalka Sniadanko und Andrej Kurkow stand Maljartschuk zuletzt auf der Leipziger Buchmesse im Mittelpunkt des Interesses.
Sie wird vom 10. bis zum 13. April beim Festival "Literatur & Wein" im Stift Göttweig aus "Biografie eines zufälligen Wunders" vortragen.