Sie tragen Uniform und Waffen, sie sind Soldaten, die beim Verteidigungsministerium in Kabul registriert sind - und doch gelten sie als eine der großen Gefahren für die Sicherheit: | Afghanistans gefürchtete Warlords.
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Die Milizen in den Provinzen haben nach offizieller Schätzung 100.000 Mann unter Waffen, der regulären afghanischen Armee gehören bislang ganze 6000 Soldaten an. Die Milizionäre gehorchen nicht Befehlen der Zentralregierung, sondern lokalen Kommandeuren und Kriegsherren. Heute beginnt nach langer Verzögerung offiziell ihre Entwaffnung - Start des ehrgeizigen Projektes ist in Kunduz, dem geplanten neuen Einsatzgebiet der deutschen Bundeswehr.
In Kunduz und Umgebung hat Mohammad Daud das uneingeschränkte Sagen. Der General befiehlt nach eigenen Angaben über 30.000 Soldaten; er gilt als loyaler Anhänger der Zentralregierung und sichert ihr offiziell vollständige Zusammenarbeit zu. In einer Pilotphase sollen in Dauds Kommandobereich 1.000 Waffen eingesammelt werden. Das Konzept des Projekts, das unter dem englischen Kürzel DDR (für Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung) firmiert, ist bestechend - trotzdem gilt ein Erfolg als fraglich.
Verwirklicht wird es vom afghanischen "Neuanfänger-Programm" (ANBP), hinter dem die Vereinten Nationen stehen und das zum größten Teil von Japan finanziert wird. "Wir entmilitarisieren nicht ganz Afghanistan", sagt Oliver Buder, deutscher UN-Mitarbeiter und in Kabul zuständig für den Wiedereingliederungsteil des Projekts - schließlich tragen am Hindukusch auch etliche Männer ohne Uniform Waffen. Zielgruppe sind die registrierten Milizionäre, deren Befehlshaber sich untereinander heftig bekämpfen und die sich durch willkürliche Zölle und in einem beträchtlichen Umfang auch durch den Drogenhandel finanzieren.
Bis zu 475 Dollar für jedes abgegebene Stück
Wer eine Waffe abgibt, erhält je nach Dienstgrad 200 bis 475 US-Dollar (bis 409 Euro) bar auf die Hand, er bekommt Lebensmittel, Zivilkleidung und einen Orden. Ihm werden außerdem Fortbildung und die Vermittlung in reguläre Arbeit oder Starthilfe als Bauer angeboten - der Ex- Milizionär soll die Chance bekommen, seinen Lebensunterhalt ohne Waffen und Gewalt zu verdienen. Dafür muss er auf den Koran schwören, nur noch legalen Beschäftigungen nachzugehen. Nach drei Jahren, so ist das Ziel, sollen die Milizen aufgelöst sein.
Kritisch dürfte das Projekt nächsten Sommer nach Abschluss der Pilotphase werden, in der in insgesamt sechs Regionen je 1.000 Waffen eingesammelt werden sollen. Dies täte Kommandeuren wie Daud nicht weh, sagen manche. Wer aber in Afghanistan, wo fast ein Vierteljahrhundert lang Gewalt regiert, sein gesamtes Arsenal abliefert, der gibt damit auch all seine Macht ab. Es sei kaum vorstellbar, dass die Warlords das tun würden.
Dass so mancher Milizionär aus diesem Grund wohl nur ausrangierte Stücke überreicht, weiß auch Buder. "Es gibt momentan kaum einen Sanktionsmechanismus", dies sei der große Schwachpunkt des Projekts. Niemand könne verhindern, dass die Männer, um einen alten Karabiner ärmer und um einige Dollar reicher, zurück zu ihren Milizen gingen. Dennoch gewinnt Buder dem Plan viel Positives ab: "Wer wirklich kriegsmüde ist, dem hat man zumindest angeboten, in ein legales und ziviles Leben zurückzukehren".
Vermutlich werde es auch nach Abschluss des Entwaffnungsprogramms 2006 immer noch tausende Waffen am Hindukusch geben. Bis dahin sei aber die reguläre Armee hoffentlich so weit einsatzbereit, dass sie gegen die Warlords und ihre Kämpfer vorgehen könne, hofft der UN-Mitarbeiter. "Wenn die Politik mitspielt, dann kann das klappen."