Freihandelsabkommen zwischen Brüssel und Kiew steht noch aus.
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Brüssel/Kiew. Monatelang hatte es sich gespießt, über Jahre hatte es sich hingezogen: Die Frage, ob die Ukraine das mit der EU im Herbst 2011 fertig verhandelte Assoziierungsabkommen unterzeichnet oder nicht, war in der Ukraine im vergangenen Jahr zu einem Glaubenskampf geworden. Die Entscheidung der Regierung, das Abkommen Ende November nicht zu unterzeichnen und stattdessen ausgedehnte Finanzhilfen aus Moskau in Anspruch zu nehmen, kostete Präsident Wiktor Janukowitsch den politischen Kopf.
Nun ist alles anders. Knapp einen Monat nach dem Sturz Janukowitschs wollen Brüssel und Kiew den Vertrag unter Dach und Fach bringen, der die Ukraine im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der EU näher an die Europäische Union heranführen will. Arseni Jazenjuk, der Chef der Übergangsregierung in Kiew, soll das Assoziierungsabkommen am Freitag unterzeichnen - die europäischen Staats- und Regierungschefs, Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso werden ihre Unterschrift ebenfalls unter den Vertrag setzen. Der Umsturz im Februar in Kiew, die Übernahme der Regierung durch prowestliche Kräfte haben die Grundvoraussetzung dafür geschaffen.
Auch der Druck, der aus Moskau Richtung Ukraine ausgeübt wird, wirkt wie ein Turbo für eine beschleunigte EU-Anbindung der Ukraine. Im Parlament in Kiew wird sogar schon über einen geplanten EU-Beitrittsantrag beraten. Solche Kiewer Träume sind freilich verfrüht. Zwar hat sich kürzlich sogar EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle dafür ausgesprochen, die Ukraine in die Europäische Union aufzunehmen. Diese habe eine "beispiellos verändernde und stabilisierende Kraft", sagte der Tscheche in einem Interview. Dennoch ist der Weg zu einem EU-Beitritt weit - das Assoziierungsabkommen dient nicht zuletzt dem Zweck, das Land am Dnjepr langsam an EU-Standards heranzuführen. Die Umstellung der sowjetisch geprägten Verwaltung wird laut Experten Jahre dauern und einiges kosten. Bei der gegenwärtigen Finanzlage der Ukraine - das Land steht vor der Pleite - ist der Erfolg höchst ungewiss.
Außerdem wird Jazenjuk am Freitag nicht das gesamte Abkommen unterzeichnen, sondern nur die politischen Kapitel. Der für die Ukraine weit wichtigere Teil, der das Freihandelsabkommen mit der EU beinhaltet, wird erst später unterzeichnet. "Die EU hatte unter Janukowitsch stets Probleme mit dem politischen Teil - etwa mit der fragwürdigen Justiz in der Ukraine, zum Beispiel dem Fall der inhaftierten Ex-Premierministerin Julia Timoschenko", sagte Susan Stewart, Ukraine-Expertin an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) der "Wiener Zeitung". Timoschenko wurde am Mittwoch nach ihrer Rückenbehandlung aus dem Krankenhaus in Berlin entlassen. Ob sich das Land in dieser Hinsicht so schnell gebessert hat, ist allerdings fraglich: Erst kürzlich kam es zu Übergriffen auf politisch unliebsame Personen (siehe Seite 4). Die Unterzeichnung des Abkommens könnte auch ein verfrühter Persilschein der EU für die neue Regierung in Kiew sein - in der mit der Partei Swoboda auch rechtsextreme Kräfte sitzen. So stellt die Nationalisten-Partei mittlerweile den Generalstaatsanwalt und hat damit auch Zugriff auf das Justizsystem.
Keine Visafreiheit
Es sieht auch so aus, als müssten die Ukrainer trotz der proeuropäischen Revolution auf dem Maidan in Kiew auf essenzielle Verbesserungen im Verhältnis zur EU noch länger warten - etwa auf Reisefreiheit. "Die Visafreiheit wäre natürlich ein wichtiges Signal an die Gesellschaft", meinte Stewart. "Es sieht aber nicht so aus, als würde die EU ihre bisherige Politik ändern. Zuletzt hieß es, man halte an der bisherigen Regelung fest", sagt die Politologin. Eine Abschaffung der Visapflicht steht demnach erst in eineinhalb bis zwei Jahren ins Haus.
Obwohl das Freihandelsabkommen also noch nicht in Kraft gesetzt wurde, will die EU-Kommission jedenfalls Handelserleichterungen für die Ukraine provisorisch vorziehen und Zölle abbauen. Dadurch soll die ukrainische Wirtschaft Handelserleichterungen von 500 Millionen Euro jährlich erhalten. Olli Rehn, der Wirtschafts- und Währungskommissar, kündigte 1,61 Milliarden Euro Soforthilfe an: Zusätzlich zu den schon zur Verfügung stehenden 610 Millionen Euro werde es eine Milliarde an makrofinanzieller Unterstützung geben, so Rehn. Parallel werde es Mittel vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geben. Es handle sich um eine "direkte, konkrete Antwort auf die schwierige finanzielle Situation der Ukraine". Insgesamt hat die EU, die im vergangenen Herbst 500 Millionen für die Ukraine lockermachen wollte und dann vom russischen Milliardenangebot überboten wurde, Kiew nach dem Regimewechsel 11 Milliarden Euro Finanzhilfe in Aussicht gestellt.
Erweiterte Sanktionen
Am EU-Gipfel am Freitag wird jedoch nicht nur das Assoziierungsabkommen unterfertigt. Man berät auch über neue, erweiterte Sanktionen gegen die russische Führung wegen der Krim-Annexion. Die erweiterten Strafmaßnahmen könnten den Zirkel um den Präsidenten Wladimir Putin treffen. Ein ranghoher Diplomat ließ durchklingen, dass nun auch die Präsidialverwaltung und kremlnahe russische Medienvertreter sanktioniert werden könnten. Bisher hatte die EU nur Parlamentarier und Militärs mit Konten- und Einreisesperren gestraft. Die Erweiterung der Liste um russische Wirtschaftsvertreter sei noch nicht konkret diskutiert worden.
Der britische Premier David Cameron hat indessen die G7-Nationen zur Diskussion über einen Ausschluss Russlands aus dem Staatenbund G8 aufgerufen.