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Begräbnis für die Franco-Diktatur

Von Hubert Kahl

Politik

Madrid - Bei all den Kürzeln und Parteiennamen blickten die spanischen Wähler kaum noch durch. Im Überschwang hatten sich mehr als 200 Gruppierungen für die Parlamentswahlen am 15. Juni 1977 beworben. Die Abstimmung vor 25 Jahren war die erste freie Wahl in Spanien seit dem Bürgerkrieg (1936-1939). Sie besiegelte das Ende des Franco-Regimes und Spaniens Rückkehr zur Demokratie.


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Das ganze Land war in Aufbruchstimmung. Der Diktator Francisco Franco, der das Land seit dem Ende des Bürgerkriegs 1939 beherrscht hatte, war seit eineinhalb Jahren tot. Die meisten Spanier gingen zum ersten Mal in ihrem Leben zu einer Wahl. Manch ungeübter Wähler musste in seiner Ratlosigkeit einen Polizisten oder Wahlhelfer fragen, wie er seine Stimme abzugeben hatte.

Allerdings stellten sich die Spanier trotz aller Aufbruchstimmung damals auch manch bange Frage. Wird die Rechte tatenlos zusehen, wie ihr Franco-Staat Stück für Stück demontiert wird? Wird das Militär im Handstreich die Macht an sich reißen? Und wird die Linke den Weg behutsamer Reformen mittragen, oder wird sie auf einem radikalen Bruch mit dem Franco-Regime bestehen? Jedes Szenario schien möglich.

An den Hebeln der Staatsmacht saßen noch Franco-Leute. Viele Politiker der Linken waren gerade erst aus dem Exil zurückgekehrt. Die Kommunistische Partei war nur zwei Monate vor der Wahl zugelassen worden. Ihr Führer Santiago Carrillo musste fast ständig mit der Verhaftung rechnen. Dem jungen König Juan Carlos und dem Ministerpräsidenten Adolfo Suarez schlug noch erhebliches Misstrauen entgegen: Der Monarch war von Franco eingesetzt worden, und Suarez war während der Diktatur Generalsekretär der Einheitspartei gewesen. Heute sind beide hoch geschätzte Staatsmänner und gelten als die "Architekten des Übergangs".

Die Wahl brachte einen überwältigenden Sieg der gemäßigten Kräfte. Die Zentrumsunion (UCD) von Suarez wurde mit 34,6 Prozent der Stimmen erwartungsgemäß stärkste Partei. Überraschend gut schnitten die Sozialisten (PSOE) ab, die mit 29,4 Prozent den zweiten Platz belegten. Ihr Chef Felipe Gonzalez, damals gerade 35 Jahre alt, wurde plötzlich zum aufsteigenden politischen Stern Spaniens.

Noch unerwarteter war die vernichtende Niederlage der Rechten. Die von sechs ehemaligen Franco-Ministern ins Leben gerufene Volksallianz (AP), die als die "zivilisierte Rechte" galt, kam nur auf 8,4 Prozent und die extreme Rechte nicht einmal auf ein Prozent. Die Kommunisten, während der Diktatur die stärkste Widerstandsgruppe im Untergrund, erhielten 9,4 Prozent.

Das Ergebnis der Wahl bedeutete einen Aufruf zur Mäßigung und eine Absage an Extreme. Es stellte die Weichen dafür, dass Spanien ein demokratisches Land wie jedes andere in Europa werden konnte. "In Spanien gab es keinen radikalen Bruch mit der Franco-Zeit, wie ihn die Linke gefordert hatte. Es gab aber auch keine bloße Retusche des Regimes", sagte einmal der Philosoph Julian Marias. "Es entstand etwas Neues und Unerwartetes." Für viele Länder in Lateinamerika wurde Spaniens "transicion" (Übergang) zu einem Musterbeispiel für die Rückkehr zur Demokratie.

Spaniens Parteienlandschaft hat sich in den vergangenen 25 Jahren wesentlich geändert. Die damals siegreiche UCD, kurz vor der Wahl als loser Zusammenschluss kleinerer Gruppen gegründet, ging bald in einem Meer von Intrigen unter. Dafür öffnete sich die AP stärker der Mitte, benannte sich in Volkspartei (PP) um und stellt seit 1996 unter Ministerpräsident Jose Maria Aznar die Regierung.