Gesetzgebungsverfahren laufen ohne Mindeststandards ab, kritisiert der Rechtsanwaltskammertag.
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Wien. Von April 2017 bis September 2018 gab es 150 Verordnungs- und Gesetzesentwürfe, mit denen der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (Örak) im Rahmen von Begutachtungen befasst war. In 76 Prozent der Fälle sei die vom Bundeskanzleramt empfohlene, aber nicht gesetzlich vorgeschriebene Begutachtungsfrist von sechs Wochen nicht eingehalten worden, sagte Rupert Wolff, Präsident des Örak, am Montag bei der Präsentation des jährlichen Wahrnehmungsberichts. In 26 Prozent der Fälle seien nur zwei Wochen oder weniger zur Verfügung gestanden.
Das Erwachsenenschutz-Anpassungsgesetz Justiz sowie jenes für den Bereich des Sozialministeriums seien überhaupt erst nach Inkrafttreten kundgemacht worden. Die Begutachtungsfrist für Ersteres lag bei drei Wochen, für Zweiteres bei elf Tagen. Schon 2017 hatte der Örak eine Vorgehensweise wie diese beim Berufsrechtsänderungsgesetz 2016 und Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz beanstandet.
"Bei Rechtsbereinigung vorsichtig vorgehen"
Dieses Jahr wurden zudem die Änderungen im Arbeitszeitgesetz gar keiner Begutachtung unterzogen. "Angesichts der erheblichen Auswirkungen der darin vorgesehenen Neuerungen auf die breite Masse ist ein solches Vorgehen nicht vertretbar", ist im Wahrnehmungsbericht zu lesen. Die Regierungsvorlage des Datenschutz-Anpassungsgesetzes 2018 wurde wiederum noch während der Begutachtungsfrist beschlossen.
"Wir fordern daher nachdrücklich und wiederholt die Einführung von Mindeststandards in Gesetzgebungsverfahren", sagte Wolff. Im Regierungsprogramm sind diesbezüglich zwar Verbesserungen angekündigt - bis jetzt sei aber nichts passiert, so Wolff.
Die Bestrebungen, die Gesetze zu bereinigen und eine Übererfüllung der EU-Vorgaben ("Gold Plating") zu vermeiden, werden vom Örak grundsätzlich begrüßt. Eine Streichung der Bundesgesetze, die vor 2000 erlassen wurden und von den Ministerien als nicht absolut notwendig erachtet werden, klingt laut diesem allerdings "nach einem sehr gewagten Vorgehen". Bei einer Rechtsbereinigung müsse man angesichts ihrer unabsehbaren Folgen vorsichtig vorgehen.
Mängel in der Gerichtsbarkeit könnten die Grund-, Menschen- und Freiheitsrechte einschränken. Problematische Entwicklungen gebe es hier auch im Asyl- und Fremdenwesen. Dass die Rechtsberatung für Asylwerber von NGOs wie Diakonie oder Volkshilfe an eine Bundesagentur übertragen werden soll, "widerstrebt einem fairen Asylverfahren", ergänzte Bernhard Fink, Vizepräsident des Örak. "Dass der Staat entscheidet und der Staat berät, das geht unserer Ansicht nach nicht", sagte Fink. Die unabhängige Rechtsberatung sei gefährdet. Im Wahrnehmungsbericht wird auf die Rechtslage und Judikatur zur Befangenheit verwiesen, der zufolge bereits der äußere Anschein der Befangenheit ausreichend ist.
Grundsätzlich gehört laut Örak der Zugang zu Justiz und Verwaltung verbessert. "Die Gerichtsgebühren in Österreich gehen durch die Decke", sagte Wolff. Laut der im Herbst veröffentlichten Studie der Europäischen Kommission für die Effizienz der Justiz hat der Deckungsgrad der österreichischen Justiz durch Gerichtsgebühren einen europaweiten Rekordwert von 117 Prozent erreicht. Auf Platz zwei folgt die Türkei mit 62 Prozent, danach kommen Deutschland und Malta mit je 43 Prozent. Von 2010 bis 2016 sind die jährlichen Einnahmen aus Gerichtsgebühren in Österreich um 41 Prozent gestiegen. Der Mehrerlös diene "der Quersubventionierung völlig anderer Haushaltsposten", so Wolff.
Staatsanwaltschaftenpersonell ausgehungert
Denn die Staatsanwaltschaften würden dennoch personell ausgehungert: Während im europäischen Durchschnitt auf 100.000 Einwohner 11,7 Staatsanwälte kommen, sind es in Österreich 4,1. Ein österreichischer Ankläger hat dadurch durchschnittlich 1624 Fälle pro Jahr zu bearbeiten, europaweit sind es 578.
Zu einer ganz aktuellen Postenvergabe, in der es um die Nachfolge des derzeit amtierenden Präsidenten Manfred Grauszer im Landesverwaltungsgericht Burgenland geht, äußerte sich Fink auf Nachfrage der Tageszeitung "Die Presse" folgendermaßen: In der Art der Postenausschreibung sehe er eine "Freunderlwirtschaft". Denn der Posten ist offenbar für die Büroleiterin von SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl vorgesehen. Die Ausschreibung ist auf diese zugeschnitten. Es sei jedoch unerlässlich, so Fink, dass die Ernennung eines Präsidenten eines Gerichts aus dem Kreis der Richterschaft zu erfolgen habe.