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Behältnisse des Lebens

Von Andreas Schindl

Reflexionen

Wie Dokumente, Opernlibretti und Bestechungsgelder aufgehoben und transportiert werden.


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Meine ersten Erfahrungen mit Aktentaschen habe ich im Alter von elf oder zwölf Jahren gemacht: Einer meiner Schulkollegen, er sollte später für einen Erotikverlag und danach für einen österreichischen Privatfernsehsender arbeiten, transportierte seine Hefte und Bücher in einer solchen. Der Schulkollege, mein Bruder und ich hatten es uns zur Angewohnheit gemacht, am Heimweg von der Schule einen Abstecher zu einem Bach zu machen. Irgendwann sind wir aus lauter Übermut auf die Idee gekommen, die Schul- bzw. Aktentaschen des jeweils anderen in möglichst hohem und weitem Bogen ans andere Ufer zu werfen.

Eines Tages geschah es jedoch, dass der Griff der Aktentasche des Schulkollegen just in dem Moment abriss, als ich zu einem großen Wurf ansetzte. Die Folge waren etliche durchnässte und damit unleserlich gewordene Hefte, für deren Wiederherstellung von den Eltern des Schulfreundes sogar Schmerzensgeld gefordert wurde . . .

Rablbauers Koffer

Bis vor rund 15 Jahren war es üblich, wichtige Dinge in Aktentaschen oder -koffern zu transportieren. Der Kabarettist Lukas Resetarits spekuliert in seinem aktuellen Programm "Unruhestand" darüber, dass die Bauarbeiter in ihren Aktentaschen am Weg zur Baustelle ihre Extrawurstsemmeln und Bierflaschen transportierten, während sie nach Feierabend dieselben mit jenen Ziegelsteinen füllten, die sie zum Bau des eigenen Einfamilienhauses benötigten.

Neben anderen derart lebenswichtigen Gütern wurden gerne auch inoffizielle Geldbeträge in Aktentaschen oder -koffern von A nach B befördert. Der Unternehmer Bela Rablbauer etwa trug seine Parteispende (an die ÖVP) 1979 im berühmten schwarzen Koffer in den Parlamentsklub.

Auch Udo Prokschs ursprüngliche 400.000 US-Dollar, die er zusammen mit einigen inkriminierenden Fotos vor seiner Verhaftung in Wien Schwechat im Flugzeug an die mit ihm befreundete Galeristin Evelyn Oswald übergeben hatte, befanden sich in einem Aktenkoffer. Bei seiner Festnahme am Wiener Flughafen waren die Fotos verschwunden und nur mehr 40.000 Dollar im Koffer. Was mit den Bildern und dem Geld geschehen ist, weiß man bis heute nicht.

Mit der Verbreitung der Laptops um die Jahrtausendwende verschwanden die ledernen Transportbehältnisse allmählich. Im März 2003 soll der damalige BAWAG-Generaldirektor Helmut Elsner für seinen Du-Freund Hermann Gerharter 600.000 Euro aus einem Privatkredit persönlich von dessen Konto abgehoben und ihm in einem Plastiksackerl übergeben haben. Der Ex-Konsumchef soll sich höflich bedankt und dem Bankdirektor das Plastiksackerl ohne Geld, dafür aber mit einer Bonbonniere zurückgegeben haben. Der Kredit, aus dem das Geld stammte, soll daraufhin von Elsner als uneinbringlich ausgebucht worden sein.

Von Karl Heinz Grasser wird kolportiert, dass er als amtierender Finanzminister jene 500.000 Euro, die er von seiner Schwiegermutter als Spielgeld erhalten hatte, um sein Anlagetalent zu beweisen, ebenfalls in einem Plastiksackerl zwischen Wien und Vaduz transportiert habe.

Zur Ehrenrettung des Plastiksackerls muss angemerkt werden, dass andere prominente Österreicher ehrenvollere Aufgaben für die PVC-Tragetaschen ersonnen haben: Sowohl der vor zehn Jahren verstorbene "Opernführer" Marcel Prawy als auch Szene-Unikum Hermes Phettberg haben - wie sie in einer legendären Folge der "Nette Leit-Show" wechselseitig kundtaten - ihre persönlichen Archive in gelben Plastiksackerln angelegt.

Dem ebenfalls bereits verstorbenen Kolumnisten Herbert Hufnagl verdankt die Nachwelt den Hinweis, dass sich etwa alle relevanten Unterlagen Prawys über das Libretto von Giuseppe Verdis Oper "Il Trovatore" im Sackerl Nummer 756, Monate Mai/Juni 1928, befanden.

Der ehemalige Bundeskanzler und SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer verhalf wiederum der Aktentasche zu einem kurzen Revival. So bleibt von ihm neben seinem Lamento über das "übliche Gesudere", seiner Vorliebe für Rotwein und seiner Radlerhose auch die rote Aktentasche in Erinnerung. Dieses handgefertigte Exemplar stammte zwar vom renommierten Taschenerzeuger Robert Horn aus Wien-Margareten, konnte aber trotzdem keine nennenswerte Trendumkehr weg vom Plastiksackerl und der Laptoptasche einleiten.

Britische "red boxes"

Zumindest nicht in unseren Breiten. Britische Minister verwenden bereits seit 1860 rote Koffer zum Transport wichtiger Unterlagen. Die in Großbritannien als "red boxes" bekannten Aktentaschen wurden erstmals vom Premierminister William Gladstone verwendet und werden auch heute noch von der englischen Traditionsfirma Barrow and Gale hergestellt. Damit die Minister nicht vergessen, die Koffer sorgfältig zu schließen, klappen die Kofferdeckel nach unten auf.

Für die Farbgebung war angeblich Prinz Albert verantwortlich, da Rot die dominierende Farbe im Wappen der Familie Sachsen-Coburg Gotha ist.

Der Schatzkanzler trägt traditionellerweise die Unterlagen für seine Budgetrede in einem dieser berühmten roten Koffer ins Parlament. Bis ins Jahr 2010 wurde einem Bericht der BBC zufolge von den britischen Premierministern der Originalkoffer aus dem 19. Jahrhundert benutzt. Das von David Cameron derzeit verwendete, auch schon sehr ramponierte Exemplar hat mit Messing verstärkte Ecken und besitzt eine Goldprägung mit dem britischen Staatswappen.

Bei genauerem Hinsehen fällt dem aufmerksamen Beobachter auf, dass der Koffer in der linken unteren Ecke auch noch eine Zahl eingeprägt hat. Es gibt Fotos von Cameron mit Koffer Nummer 2 - und welche mit Nummer 3. Das legt den Verdacht nahe, dass es mindestens drei identische Koffer geben muss. Enthalten die drei Koffer verschiedene Unterlagen? Nimmt Cameron zu Sitzungen, bei denen er den Vorschlägen seiner Kollegen zustimmen kann, Koffer Nummer eins? Befinden sich im Koffer mit der Nummer zwei Kompromissvorschläge? Indes steht immerhin fest, dass der Inhalt des 3er Koffers im November 2012 dazu geeignet war, eine Einigung über das EU-Budget vorerst zu verhindern.

Vielleicht findet eine Renaissance der Aktentasche erst dann statt, wenn die Plastiksackerl wegen ihrer Umwelt belastenden Eigenschaften aus den Supermärkten verbannt werden und wir uns angesichts der Kapitalismuskrise daran erinnern, dass es sinnvoll ist, Gebrauchsgegenstände zu verwenden, die langlebig, im Bedarfsfall reparierbar und am Ende ihrer Lebenszeit umweltfreundlich entsorgbar sind.

Hinweise dafür lieferten etwa kürzlich die Aussagen des Lobbyisten Peter Hochegger. Er hat die 500.000 Euro Bargeld für den Broker der Telekom zwar mit einem mulmigen Gefühl, aber immerhin stilgerecht in einer Aktentasche über den Stephansplatz getragen.

Andreas Schindl, geboren 1968, lebt als Hautarzt und Publizist in Wien.