Die EU befürchtet, Großbritannien könnte sie bei den Brexit-Gesprächen erpressen. Der dortige Wahlkampf verschärft die Anti-EU-Stimmung.
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Wien. Liegt es daran, dass Großbritannien sich mitten im Wahlkampf befindet? Dass die konservativen Tories vor den Neuwahlen am 8. Juni noch einmal deutlich machen wollen, vor Brüssel sicher nicht klein beizugeben? So wirkt es jedenfalls, denn London liegt derzeit viel daran, den Wählern klarzumachen, dass es nicht aufgibt: Immer wieder widersprechen britische Minister Brüssel in eben jenen Punkten, auf die die EU schon lange besteht.
Zum Beispiel Nordirland: Brüssel hat die Frage nach dem Grenzmanagement zwischen der britischen Provinz und Irland, gemeinsam mit den Bürgerrechten und der EU-Austrittsrechnung, zum vorläufigen Hauptthema der Brexit-Verhandlungen gemacht. Diese Punkte gilt es für Brüssel zu klären, bevor die Gespräche über die künftige Beziehung Großbritanniens mit der EU überhaupt angefangen werden können - eine in den Augen des britischen Brexit-Ministers David Davis "völlig unlogische und falsche" Forderung. London will nämlich genau das Gegenteil: Zuerst die künftigen Beziehungen klären - allen voran ein Freihandelsabkommen mit der EU - und danach alles Weitere.
Dabei liegt beiden Seiten viel daran, das Nordirland-Problem zu lösen. Bei einem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs wird die Grenze zwischen Nordirland und der Republik zur EU-Außengrenze - und muss entsprechend kontrolliert werden. Scheidet Großbritannien aus dem EU-Binnenmarkt aus - was sehr wahrscheinlich ist, da London auch die Personenfreizügigkeit einschränken will - muss es wieder Zölle zahlen, Warenkontrollen sind die Konsequenz. "Wir haben die Pflicht, die Wahrheit zu sagen", meinte der Brexit-Chefverhandler der EU, Michel Barnier, kürzlich bei einem Besuch an besagter Grenze. "Zollkontrollen sind Teil des EU-Managements - sie schützen den Binnenmarkt, unsere Nahrungsmittelsicherheit und Vorschriften. . . Allerdings sollte nichts den Frieden in Gefahr bringen."
Das Veto als Waffe
Barnier spielt auf die Angst vor einem Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts an. Tritt das Vereinigte Königreich aus der EU aus, gehen nicht nur Millionenförderungen für den Friedensprozess verloren. Durch die "harte Grenze" könnten die (irischen) Katholiken in der Provinz sich zudem von der Republik abgeschottet fühlen. Die Gefahr ist dennoch weniger, dass der bewaffnete Konflikt wieder losgeht. Die Ängste sind vielmehr finanzieller Natur, denn Grenzkontrollen sind nicht gerade wirtschaftsfreundlich.
Doch es ist nicht nur Nordirland. Großbritannien befindet sich im Wahlkampf, die Töne gegenüber Brüssel werden im Allgemeinen rauer. So meint etwa Außenminister Boris Johnson, dass die EU eine Rechnung an die Briten zu zahlen habe und nicht umgekehrt.
Johnson war es auch, der die Entscheidung für ein militärisches EU-Hauptquartier blockierte. Weil er nicht zustimmte, konnten die Außenminister am Montag in Brüssel nicht die nötigen Beschlüsse dafür auf den Weg bringen - und müssen am Donnerstag noch einmal darüber beraten. Die Kommandozentrale soll vor allem dabei helfen, zivile und militärische EU-Operationen zur Krisenprävention und -bewältigung besser aufeinander abzustimmen.
Konkrete Gründe für die Blockadehaltung seines Landes nannte Johnson zwar nicht. Doch scheint es offensichtlich, dass London damit die anstehenden Brexit-Verhandlungen beeinflussen will. Im - für Brüssel - schlimmsten Fall werden die Briten versuchen, mit Vetos Zugeständnisse zu erzwingen. Auch, wenn Großbritannien in zwei Jahren automatisch aus der EU ausscheidet: Bis dahin ist London voll stimmberechtigt und könnte der Staatengemeinschaft in einer ohnehin turbulenten Zeit zahlreiche Steine in den Weg legen: Viele wichtige Entscheidungen müssen einstimmig getroffen werden.
Befeuert wird diese Befürchtung dadurch, dass die Tories immer euroskeptischer werden. Laut einer Analyse sei die Mehrheit der neuen Kandidaten für einen Sitz in Westminster für den Brexit, schreibt der linksliberale "Guardian". Kurz vor den Wahlen steigt also der Druck auf Premierministerin Theresa May, bei ihrer Strategie eines harten Brexit zu bleiben - und sich gegenüber Brüssel nicht allzu kompromissbereit zu zeigen.