Analyse: Der gesellschaftliche Umgang mit behinderten Menschen bessert sich nur langsam.
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Wien. Als "lebensunwertes Leben", wie man behinderte Menschen im nationalsozialistischen Regime nannte, sieht man sie heute zwar nicht mehr. Dennoch bessert sich der gesellschaftliche Umgang mit ihnen nur langsam. Es sei ein Wechselspiel von Stagnation und Fortschritt, so der Grundtenor der Podiumsdiskussion des Vereins "Das Band" für unterstütztes Arbeiten und Wohnen am Donnerstag zu dem Thema.
Tatsache ist, dass ein echter Wandel nicht schon - wie man glauben könnte - unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern erst in der jüngsten Vergangenheit eingesetzt hat. Noch in den 60ern waren zum Beispiel Netzbetten in der Psychiatrie "Am Steinhof" des Otto-Wagner-Spitals in Wien Usus. Bis in die 80er Jahre hinein sollen hier Kinder missbraucht worden seien.
Die Bewohner der Psychiatrie waren nicht die Klienten - sondern Insassen. Kaum einer wurde je entlassen. Behinderte Menschen waren offensichtlich etwas, für das sich die Gesellschaft schämte. Das weggesperrt und vor den Augen der "Gesunden" versteckt werden musste.
Ein Leben ohne Freiräume
Selbst in den 90er Jahren fristeten behinderte Menschen in den Psychiatrien ihr Dasein noch ohne Beschäftigung oder Freigänge. Es war ein Leben in einer "totalen Institution", so der Fachausdruck, in der sämtliche Abläufe geregelt und kontrolliert waren und es keinen persönlichen Freiraum gab. Erst vor etwa 15 Jahren griffen Wohnplatzprogramme Raum und die ersten Psychiatrie-Ausgliederungsprojekte starteten.
Das Sich-Lösen von der Vergangenheit ist ein zäher Prozess. Ein wesentlicher Schritt in eine neue Richtung war die UN-Behindertenrechtskonvention, die 2008 in Kraft getreten ist. Die Unterzeichnerstaaten - darunter Österreich - verpflichten sich, die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten.
Abschaffung der Sonderschule
Seitdem ist freilich einiges passiert. So besucht zum Beispiel die Hälfte aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf heute eine Integrationsklasse, der Rest eine Sonderschule. Deren Abschaffung stand schon oft im Raum, laut Nationalem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention soll das bis 2020 der Fall sein.
Davon, dass Menschen mit Behinderung als selbstverständlicher und gleichberechtigter Teil der Gesellschaft gesehen werden, sind wir allerdings weit entfernt. Betroffene, die seit Jahren im Zuge einer Beschäftigungstherapie einer Arbeit nachgehen, sind nicht krankenversichert und haben auch keinen Pensionsanspruch.
Die persönliche Assistenz eines behinderten Menschen ist wiederum nur auf der Basis eines freien Dienstvertrags - also ohne jede Absicherung - möglich. Persönliche Assistenten begleiten ihre Klienten bei Freizeitaktivitäten wie etwa Kinobesuche. Fehlt das Budget, um diesen Beruf schmackhaft zu machen und ihn auf Angestelltenbasis anzubieten, wird es wahrscheinlich nie genügend persönliche Assistenten geben. Und die individuelle Freizeitgestaltung könnte zu kurz kommen.
Generell werden es vermutlich die Menschen mit hohem Betreuungsbedarf sein, die noch länger am Rand der Gesellschaft stehen werden. Weil sie es sind, die ihre Wünsche und Bedürfnisse am wenigsten klar artikulieren können - oder man sie mitunter auch gar nicht verstehen will.