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"Behinderte verlieren als Erste den Job"

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

ÖVP-Politiker fordert gelockerten Kündigungsschutz. | Im ORF brauche es mehr Untertitel. | "Wiener Zeitung": Sie stehen auf der ÖVP-Warteliste für den Nationalrat. Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie in dieser Legislaturperiode ins Parlament kommen? | Franz-Joseph Huainigg: Auf der Bundesliste bin ich der Nächste, der nachrückt. Wenn es sich ergibt, würde es mich freuen. Ich war schon 2002 bis 2008 Abgeordneter. In dieser Zeit ist vieles weitergegangen, etwa das Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG). Es gibt aber noch genug weitere Herausforderungen.


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Außer Ihnen ist auch die Grüne Theresia Haidlmayr nicht mehr im Parlament. Hat die Behindertenpolitik für die Parteien an Bedeutung verloren?

Bei der ÖVP ist es nicht weniger geworden. Ich bin nach wie vor Behindertensprecher. Ich war ja eigentlich auf einem Fixplatz. Das Wahlergebnis und dass ich rausfliegen würde war ja nicht vorhersehbar.

Das BGStG wurde 2006 beschlossen. Ihr Fazit?

Es hat sehr viel gebracht. Barrierefreiheit wurde ein Thema in öffentlichen Stellen, Gebäuden und Verkehrsbetrieben. Das ist aber nicht von heute auf morgen umsetzbar. Ein weiterer Schritt war die Gebärdensprache, die jetzt im Verfassungsrang anerkannt ist. Dadurch gibt es viel mehr Veranstaltungen, wo gedolmetscht wird. Mit Helene Jarmer kommt vielleicht bald eine Gehörlose ins Parlament, dann müssen auch Plenarsitzungen in Gebärdensprache gedolmetscht werden.

Diesbezüglich sind Sie ja mit dem ORF sehr unzufrieden.

Der ORF verabschiedet sich zunehmend vom öffentlich-rechtlichen Auftrag, auch bezüglich behinderter Menschen. Diese zahlen Gebühren, aber nur ein Teil des Programms ist barrierefrei. Nur etwa 20 Prozent des Programms sind untertitelt, bei der BBC sind es 100 Prozent. Auch die Audiodeskription für Blinde muss ausgebaut werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass bei Diskussionen über Behinderungen nie Betroffene eingeladen werden. Auch "Licht ins Dunkel" wird von Betroffenen kritisiert. Da macht man eine Sendung für Behinderte ohne Behinderte. Für mich unverständlich.

Wie wirkt sich die Wirtschaftskrise auf die Behindertenpolitik aus?

Behinderte Menschen werden zu jenen zählen, die als Erste ihren Arbeitsplatz verlieren oder nicht mehr aufgenommen werden. In einer Krisensituation überlegt man sich dreimal, jemanden einzustellen, von dem man glaubt, dass man ihn nicht mehr los wird.

Soll also der Kündigungsschutz gelockert werden, um mehr Behinderte in Beschäftigung zu bringen?

Genau. Jene, die ihn jetzt haben, sollen ihn auch behalten. Das gibt in Krisensituationen Sicherheit. Außerdem kann bei ausreichenden Gründen und nach einem Schlichtungsverfahren beim Sozialamt jeder gekündigt werden. Trotzdem herrscht das Vorurteil, "wenn wir ihn anstellen, kriegen wir ihn nicht mehr los". Darum finden viele gut ausgebildete Junge keinen Job. Deshalb sollte der Kündigungsschutz gelockert werden. Dies gilt vor allem für Klein- und Mittelbetriebe, die ja eigentlich gar keine Anstellungspflicht haben, die besteht erst ab 25 Beschäftigten.

Mit 220 Euro pro Monat kann sich ein Unternehmen von seiner Beschäftigungspflicht freikaufen. Ist das nicht zu wenig?

Die Ausgleichstaxe in Zeiten der Wirtschaftskrise anzuheben, wäre sicherlich kontraproduktiv und würde nicht weiterhelfen. Man muss eher den Mehrwert eines Mitarbeiters mit Behinderung propagieren.

Worin liegt der?

Behinderte Menschen sind oft motivierter und engagierter. Auch das Sozialklima hat sich in vielen Fällen verbessert. Auch haben Firmen zum Teil erst durch ihre behinderten Mitarbeiter Behinderte als Zielgruppe erkannt. Sie sollen aber nicht nur als Arbeitnehmer gefördert werden, sondern auch als Unternehmer.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Behindertenanwalt Herbert Haupt?

Gut bis sehr gut. Er ist sehr engagiert. Ich habe ihn auch als Sozialminister sehr geschätzt. Unter ihm wurde das BGStG beschlossen. Auch Erwin Buchinger war sehr engagiert. Er ist ja selbst Vater eines behinderten Kindes. Der neue Sozialminister Rudolf Hundstorfer wird sich erst bewähren müssen. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Behindertenpolitik trotz Wirtschaftskrise nicht vergessen wird.

Sie sind Politiker und Schriftsteller. Welche Projekte planen Sie derzeit?

Politisch geht es jetzt darum, das Schadensrecht zu reformieren. Die Geburt eines behinderten Kindes kann und darf keinen Schadensfall darstellen, wie der OGH geurteilt hat. Das gehört gesetzlich festgelegt. Auch gehört die persönliche Assistenz österreichweit vereinheitlicht. Zudem muss die schulische Integration ausgebaut werden.

Was steht literarisch an?

Ich schreibe fleißig und versuche bei vielen Lesungen, mit meiner Biographie "Auch Schildkröten brauchen Flügel" die Menschen aufzuklären. Es ist spannend, in persönlichen Begegnungen mit den Menschen Vorurteile abzubauen und Einblick in das Leben Behinderter zu geben. Außerdem schreibe ich nach wie vor Kinderbücher.

Zur Person

Der gebürtige Kärntner Franz-Joseph Huainigg (42) ist seit einer Impfung im ersten Lebensjahr behindert und an den Rollstuhl gebunden. Der promovierte Germanist war Kabarettist, ist Schriftsteller und saß von 2002 bis 2008 für die ÖVP im Nationalrat. Er ist verheiratet und hat eine Adoptivtochter und einen Pflegesohn.