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Behutsame Neugestaltung

Von Robert Schediwy

Reflexionen

Ein Künstler prägt seine Heimat: César Manrique hat die Kanareninsel Lanzarote mit einer Fülle von Bau- und Kunstwerken geschmückt und zur Landschaftserhaltung beigetragen.


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Als 1992 die Stiftung César Manrique eingerichtet wurde, hatte der 73-jährige Künstler praktisch alles erreicht, was zu erreichen war: er hatte zahllose Ehrungen in Spanien und auf internationaler Ebene erhalten, er war befreundet mit den Großen dieser Welt, von Omar Sharif bis Nelson Rockefeller, und er hatte geschafft, was nur wenige zuwege bringen: Es war ihm gelungen, der eigenen engeren Heimat, der Kanareninsel Lanzarote, seinen Stempel aufzudrücken.

Am 25. September dieses Jahres 1992 schlug dem vitalen Mann aber unerwartet die Stunde: Nach einem festlichen Abend übersah der Künstler an einer Straßenkreuzung einen von rechts kommenden Geländewagen und starb in den Trümmern seines Autos. Man sagt, der großzügige Ersatz von Kreuzungen durch Kreisverkehre auf Lanzarote sei nicht zuletzt auf den Schock zurückzuführen, den dieser Unfalltod des prominenten Inselbewohners mit sich brachte. Das mag stimmen oder nicht, es illustriert jedenfalls die einzigartige Bedeutung César Manriques für seine Heimatinsel.

Der Weg zur Kunst

Wie kam es zu dieser bis heute nachwirkenden Rolle Manriques? Am 24. April 1919 wurde César Manrique in der verschlafenen Hafenstadt Arrecife als Sohn eines Handelsvertreters geboren. Seine künstlerische Begabung wurde früh erkannt, und bereits 1942 hatte er seine erste Einzelausstellung im Cabildo, dem Bürgermeisteramt seiner Vaterstadt.

Als junger Mann engagierte sich Manrique aber zunächst als Freiwilliger auf Seiten von Francos Rebellenarmee im Spanischen Bürgerkrieg. Er soll einen lebenslangen Abscheu vor dem organisierten Morden davongetragen und nach seiner Rückkehr ins Elternhaus die Uniform verbrannt haben. Auf Drängen des Vaters studierte Manrique zwei Jahre lang Bauingenieurwesen, wechselte aber dann doch zur Kunst. Ein Stipendium eröffnete ihm das Studium an der Akademie von San Fernando in Madrid, das er 1950 abschloss.

Im Spanien der frühen Ära Franco war natürlich figurative Malerei angesagt. Der junge Manrique malte zunächst vorwiegend Porträts und Landschaften und zeigte sich von der sinnlichen Expressivität des kanarischen Meisters Néstor de la Torre beeindruckt. Bald begann sich aber auch im konservativen Spanien der kulturpolitische Wind zu drehen. Fotos zeigen den jungen César Manrique, wie er im Sinne des damals von den USA forcierten abstrakten Expressionismus mit breitem Pinsel kühne Schwünge zieht und Farbe mittels "Dripping" auf großformatige Leinwände verteilt.

Nach ersten Experimenten mit der abstrakten Malerei im Jahr 1953 ist er bereits 1954 an der Gründung einer einschlägigen Galerie in Madrid beteiligt. Die künstlerische Wende lohnt sich, von 1965 bis 1968 lebt Manrique hauptsächlich in New York. Er begegnet dort Jackson Pollock, Mark Rothko und Andy Warhol und bewährt sich als erfolgreicher Netzwerker in Sachen Gegenwartskunst.

Die Heimkehr

Als großer Reisender hält aber Manrique stets Kontakt zu seiner Heimatinsel, deren heraufdämmerndes touristisches Potential er erkennt und bejaht, deren traditionelle Schönheiten er aber erhalten will. In zahlreichen Stellungnahmen und Schriften setzt sich der charismatische Künstler für die weißen Häuser, die grünen Fensterläden und die kargen Reize der vulkanisch geprägten Landschaft Lanzarotes ein. Auch der Umweltschutz ist ihm ein großes Anliegen.

Es gibt freilich Neider: Ähnlich wie dem etwa gleichzeitig agierenden Friedensreich Hundertwasser wirft man Manrique vor, in der baulichen Gestaltung, ein Nicht-Fachmann zu sein, kein Architektendiplom zu besitzen und von eigentlicher Architektur nichts zu verstehen. Das ändert aber nichts an Manriques wachsendem Ruhm. Ähnlich wie hierzulande Hundertwasser (oder später André Heller) zeigt er eine Begabung für eine erfolgreiche Vermarktung des gefällig Modernen und doch Populären.

Ab 1968 lebt der Künstler wieder vorwiegend auf seiner Heimatinsel. Mit seiner Tatkraft und seinem mitreißenden Optimismus spielt Manrique bald eine wichtige, aber informelle Rolle in der Inselregierung. Er erschließt so genannte "Jameos", riesige tunnelartige Hohlräume, die durch träge fließende Lavaströme entstanden sind, als Restaurants, er gestaltet das Ausflugslokal "El Diablo" im Nationalpark "Feuerberge" von Timanfaya mit seinen heißen aber gottlob ungiftigen Dämpfen. Er baut, halb unterirdisch, sein eigenes Haus in Taro de Tahice, das er bald wieder verlassen muss, weil es zur Touristenattraktion wird.

Im Dienst der Natur

Manriques Produktivität ist enorm. Er versucht sich auch an Einkaufszentren und Hotels, hat Projekte im Mutterland und auf anderen Inseln. Seit 1977 arbeitet er mit dem berühmten spanischen Architekten Fernando Higueras zusammen, gestaltet unter anderem den grünen Innenhof des Salinas Hotels und mehrere Aussichtspunkte. Sein letztes großes Werk ist der faszinierende Kakteengarten in Guatiza. Alle diese Gestaltungen zeichnen sich durch strenge Disziplin von Form und Farbigkeit aus, aber Manrique macht die Architektur zur Dienerin der Natur, indem sie immer wieder bizarre Raumeffekte eröffnet oder integriert.

Lanzarote hat ein dramatisches Schicksal erlebt: Zwischen 1730 und 1736 ergoss sich langsam aber unerbittlich ein riesiger Lavastrom über die fruchtbarsten Gebiete der Insel. Menschenopfer waren nicht zu beklagen, aber die Landbewohner konnten zusehen, wie ihre Felder und Heimstätten von den zunächst glühenden und dann schwärzlichen Lavaströmen verschlungen und verbrannt wurden. Eine Gesamtevakuierung der Insel wurde erörtert, aber nicht durchgeführt. Um 1825 gab es noch eine kleinere Eruption ähnlicher Art.

Seither liegt ein beachtlicher Teil von Lanzarote unter einem Lavameer von grandioser Trostlosigkeit, das nur allmählich, von Flechten und ersten Pionierpflanzen bewachsen, für die Natur zurückerobert wird. Es ist César Manrique zu danken, dass der Tourismus die karge Schönheit dieses wüstenhaften und scheinbar wertlosen Gebietes erkannt hat und in extensiver Weise als Nationalpark nutzt.

Das Nachleben

Manriques Werk, wie immer man es einschätzt, scheint Bestand zu haben und weiter Interesse zu finden. Aus Kreuzfahrtschiffen und Urlauberhotels ergießen sich die Touristenströme über die von Manrique "inszenierten" Sehenswürdigkeiten und Aussichtspunkte. Das ist, bald 25 Jahre nach seinem Ableben, keine Selbstverständlichkeit.

Über das Privatleben des Tausendsassas ist übrigens wenig bekannt. Die von der Manrique-Stiftung herausgegebenen Publikationen zeigen sich hier wenig aufschlussreich. Eine relativ kurze Ehe mit einer Pepi Gómez endete mit dem frühen Tod der Gattin. Spekulationen über etwaige homosexuelle Neigungen des Künstlers werden, so heißt es, nicht gerne gehört. Jedenfalls hinterließ der ohne Nachkommen verstorbene Künstler keine zerstrittene Erbengemeinschaft.

Auch dafür muss man ihm dankbar sein.

Robert Schediwy, geboren 1947, Sozialwissenschafter und Kulturpublizist in Wien.