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Behutsame Spurensuche

Von Gerald Schmickl

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Jede Familie hat ihre Geheimnisse. Vor allem wenn sie verborgen bleiben, bestimmen sie das Leben ihrer Mitglieder oft über mehrere Generationen hinweg, wie zahlreiche Studien aus diversen psychotherapeutischen Schulen belegen. Den besonderen Fall eines - gelüfteten - Familiengeheimnisses zeigte eine Dokumentation von Anja Krug-Metzinger am Mittwochabend in ORF 2.

Es ist die Geschichte des heute 58-jährigen Jacek, der in Israel als Sohn einer Jüdin aufwuchs - im (von der Mutter geschürten) Glauben, sein Vater sei ein polnischer Widerstandskämpfer gewesen. Bis er eines Tages durch Zufall erfährt, dass jener tatsächlich Hauptmann der Waffen-SS gewesen ist. Als solcher hatte dieser Mann Jaceks Mutter, die heute 94-jährige Jocia, die Köchin in einem von den Deutschen besetzten Landgut in der Nähe Warschaus war, kennen und lieben gelernt - ohne wiederum zu wissen (und je zu erfahren), dass sie Jüdin ist. Als Jacek 1945 auf die Welt kam, war der Vater bereits an der Ostfront gefallen.

Mutter und Sohn leben heute in Deutschland - auf anrührende Weise mit ihrer Geschichte und ihrem Schicksal versöhnt. Der Film zeigte keine spektakuläre Abrechnung, sondern eine behutsame Spurensuche des Sohnes, indem das Kamerateam Jacek bei einem Besuch der Lebensstationen seiner Eltern im Polen von heute begleitete - und dem sehr offenherzigen Mann auch einen Teil seines Geheimnisses, wie es sich nämlich mit solch einer Herkunft im tiefsten Inneren wirklich leben lässt, beließ.