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Bei Anruf: Absonderung

Von Simon Rosner

Politik

Am Contact Tracing hängt viel. Die Infizierten müssen schnell gefunden und isoliert werden. Ein Besuch.


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Ruhig ist es. Und das überrascht. In drei Zimmern des Dachgeschoßes eines Amtsgebäudes der Stadt Wien findet das Contact Tracing statt. Man kann auch Kontaktpersonenmanagement dazu sagen, aber das kostet fast schon zu viel Zeit. Es geht ja um jede Minute. Manchmal. Aber da reitet auch ein bisschen die Fantasie mit. In einem Film über die Virusepidemie würde es hier sicherlich anders aussehen und klingen, da wäre Hektik, Nummern würden in den Raum gerufen, blitzschnell von Mitarbeitern gewählt werden, am besten auf zwei Telefonen gleichzeitig.

Die Realität ist anders. Es sind kleine Büroräume mit den üblichen Pinnwänden mit Ansichtskarten, in der Mitte Schreibtische mit Bildschirmen, nicht alle sind derzeit besetzt. So ähnlich sieht es auch in jenen Büros aus, in denen Bewilligungen für Halteverbote ausgestellt und Anträge auf Befreiung der Grundsteuer bearbeitet werden. Dabei entscheidet sich in diesen drei Zimmern sehr viel.

Nur selten müssen die Contact Tracer ausrücken. Dann aber in voller Schutzmontur.
© Gruppe Sofortmaßnahmen

Im Moment ist weniger los. Das Infektionsgeschehen ist noch überschaubar. Und an diesem Tag ist auch der erste Schwall schon abgearbeitet, doch neue Fälle von positiv getesteten Personen kommen stetig hinein. Die Arbeit geht nicht aus.

Contact Tracing bedeutet, die engen Kontakte von Infizierten zu ermitteln und diese, wie auch die Infizierten, per Bescheid "abzusondern". Es ist ein altmodischer Begriff, der unangenehme Assoziationen weckt, aber so steht es eben im Epidemiegesetz, es stammt aus 1950. Heute heißt es Quarantäne.

Personen, die einen Absonderungsbescheid erhalten, dürfen 14 Tage "ab möglicher Ansteckung" die Wohnung nicht verlassen. Nicht einmal zum Postkasten, geschweige denn einkaufen oder arbeiten gehen. Als "Tag eins" der Ansteckung gilt der erste Tag mit Symptomen, bei asymptomatischen Verläufen ist es der Tag des positiven Tests. Derzeit sind in Wien etwa 1300 Personen behördlich abgesondert und 450 offiziell infiziert.

Wird in einem Labor eine Probe als positiv gewertet, werden die Daten in das Epidemiologische Meldesystem (EMS) eingepflegt. Die Gesundheitsbehörde, in Wien ist dies die MA 15, erhält dadurch eine Benachrichtigung. Im Normalfall, etwa bei einem Masernausbruch, wie er alle unheiligen Zeiten einmal vorkommt, erfolgt das Contact Tracing von den Gesundheitsbehörden. Es ist dafür zuständig. Seit Corona ist jedoch nichts mehr normal, der Arbeitsanfall überlastet überall die Strukturen.

Der Bund hilft mit Soldaten und Polizisten aus, Wien kann sich aber als Bundesland anders behelfen. Das Büro für Sofortmaßnahmen wurde beauftragt, gemeinsam mit der MA 15 das Contact Tracing zu bewerkstelligen. Die Stelle, 1974 unter Bürgermeister Leopold Gratz ins Leben gerufen, kümmert sich um die Lösung von großen Problemen, etwa nach Bränden, aber auch um kleinere Ärgernisse wie lose Kanaldeckel. Und nun auch um die Kontaktverfolgung. Die Mitarbeiter wurden sukzessive eingeschult, auf bis zu 250 kann erweitert werden. "Es muss auf Knopfdruck funktionieren", sagt Leiter Walter Hillerer.

Walter Hillerer ist Leiter des Büros für Sofortmaßnahmen der Stadt Wien.

Aus dem EMS werden die Daten in eine speziell für die Stadt Wien entwickelte Software namens EpiSys eingepflegt, die zur Kontaktverfolgung dient. Das Programm läuft ständig auf den Bildschirmen im Dachgeschoß des Amtsgebäudes. Und dann geht es auch schon los, zunächst mit dem sogenannten Indexfall.

Der erste Anruf gilt der infizierten Person, die im EpiSys aufscheint. Das sind Menschen, die auf das Testergebns warten, die in der Regel über den Anruf auch nicht überrascht sind. Sie erhalten per Telefon die Anordnung, sich daheim zu isolieren, der schriftliche Bescheid folgt danach. Er gilt ab dem Eintreten der Symptome für 14 Tage. Dieser Zeitpunkt kann ein paar Tage zurückliegen. Nur selten ist keine Nummer angegeben. Gibt es aber nur eine Adresse, muss ein Team die Personen physisch aufsuchen.

Schritt zwei sind die Kontakte. Jede Person, die mit dem Infizierten einen engen Kontakt hatte (unter zwei Metern und mehr als 15 Minuten) gilt als "K1", also Kategorie-I-Kontaktperson. Diese gelten offiziell als "ansteckungsverdächtig" und müssen ebenfalls zwei Wochen in Quarantäne, gültig ab dem letzten Tag des direkten Kontakts. Auch ein kurzer direkter physischer Kontakt (ab Händeschütteln) zählt dazu. Wobei sehr wohl der Einzelfall berücksichtigt wird. Die Letztentscheidung über die Absonderung obliegt dem Amtsarzt.

Manchmal kommt es auf Minuten an

Das Ziel der Contact Tracer ist, alle Kontakte ab 48 Stunden vor dem ersten Symptom zu ermitteln. Das Gedächtnis der positiv Getesteten muss daher einiges leisten, da es meistens ein paar Tage dauert, bis sich Erkrankte testen lassen. Covid kann sehr schleichend beginnen. Umso wichtiger ist daher, dass vom ersten Anruf bei 1450 bis zum Vorliegen des Testergebnisses möglichst wenig Zeit vergeht. Minister Rudolf Anschober will dies per Erlass auf maximal 48 Stunden beschränken.

Die Bereitschaft zur Mitwirkung sei hoch, erzählen die Contact Tracer. Als sinnvoll hat sich erwiesen, die Betroffenen zu bitten, eine Liste zu erstellen und per Email zu schicken, am Telefon sind viele oftmals überrumpelt. Viel Zeit wird den Betroffenen nicht gegeben, die E-Mails kommen in der Regel aber binnen ein bis zwei Stunden. In Wien werden auch alle "K1" getestet, selbst wenn sie keine Symptome haben. Das gestalten die Bundesländer eigenständig, verpflichtend ist es nur bei Symptomen. Wer wann getestet werden muss, und welche Personen als Kontakt gelten, ist per Erlass festgelegt.

Wenn die Kontakte durchtelefoniert werden, sind viele schon von den Infizierten vorgewarnt, es handelt sich ja meist um Familienmitglieder, Freunde und enge Kollegen. Wütende Reaktionen? Immerhin müssen die Angerufenen für zwei Wochen in Quarantäne. "Sehr selten", sagt Frau Stelter, eine Mitarbeiterin des Tracing-Teams. "Und wenn, dann eher auf den Indexfall."

Auch wenn die Fälle ruhig und konzentriert abgearbeitet werden, ist der Zeitfaktor wichtig, da mit jeder Stunde, die vergeht, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass "Ansteckungsverdächtige" Sozialkontakte haben. Frau Stelter berichtet, dass es schon vorgekommen sei, dass K1-Kontakte auf dem Weg in die Arbeit oder auf ein Geburtstagsfest erwischt wurden. Eine Stunde später hätte es vielleicht weitere Ansteckungen gegeben. Das Tracing-Team ist mehrsprachig, und das ist auch wichtig. Wien ist eine internationale Stadt geworden.

Wie Cluster erkannt werden

Ermittelt werden auch sogenannte "K2", also Kategorie-II-Kontakte. Das sind solche, bei denen entweder der Abstand größer als zwei Meter oder der Kontakt kürzer als 15 Minuten war. Das erweitert den Kreis schon sehr und würde etwa in einem Restaurant so gut wie alle Gäste inkludieren. Hier endet das Tracing aber. Bei unbekannten K1-Kontakten, etwa einer Lokalbekanntschaft, wird sehr wohl versucht, zu ermitteln, um welche Personen es sich handelt. Da kommt dem Team dann auch eine detektivische Arbeit zu. Doch das sind Ausnahmen.

Bekannte K2-Kontakte werden aber ebenfalls angerufen, informiert und aufgefordert, die sozialen Kontakte zu beschränken. Eine Absonderung findet aber nicht statt. In Einzelfällen kann aber sehr wohl eine Verkehrsbeschränkung verfügt werden, etwa das Verbot, an Versammlungen teilzunehmen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Im EpiSys-Programm werden auch soziale Orte eingetragen, etwa Lokale oder Veranstaltungen. Unter anderem so fallen auch Häufungen, sogenannte Cluster, auf, bei denen die Behörden die Absonderungen auch erweitern.

Auf dem Bildschirm erscheint ein neuer Fall, dem das Contact-Tracing-Team nachgehen wird. Es handelt sich um eine Person, die in einem Kindergarten arbeitet. Das ist ein Problem. Sie hat natürlich engen und langen Kontakt zu den Kindern gehabt. Auch wenn Kleinkinder offenbar weniger oft erkranken, gelten sie als "K1". Namen und Nummern sind bekannt, das ist ein Vorteil. Aber die Konsequenz ist hart: Die Kinder müssen in Quarantäne.