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"Bei Bailouts ging es ums Überleben der Gläubigerbanken"

Von Thomas Seifert

Politik

Griechische Ökonomin: Eliten haben mehr Angst vor politischem Domino.


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"Wiener Zeitung":Viele Experten warnen, dass in Griechenland noch nicht genug gespart wurde. Marica Frangakis Ioannou: Was heute in Griechenland vor sich geht, ist ein Todeskampf der 1000 Schnitte. Die Sparprogramme sind brutal. Diese faulen Griechen haben über ihre Verhältnisse gelebt, also müssen sie bestraft werden, heißt es allerorts. Dabei ist das ein Spin der Finanzdienstleistungsindustrie. Die Last der Finanzkrise wurde den Bürgern und den Steuerzahlern aufgebürdet. Denn wir hatten eine Krise im Finanzdienstleistungssektor, der vielen ungedeckten Kredite, und aus dem wurde eine Krise der Staatsfinanzen.

Die Griechen waren aber auch nicht gerade brave, ehrliche Steuerzahler; auch das hat zum Beinahe-Bankrott des Landes beigetragen.

Ja, Steuerhinterziehung war und ist ein massives Problem. Heute sogar schlimmer als je zuvor, nachdem der Mehrwertsteuersatz auf 23 Prozent gestiegen ist. Jetzt versucht man erst recht, die Zahlung zu vermeiden. Auch die Klientel-Politik wird ärger. Denn bei einer Arbeitslosenrate von 26 Prozent unternimmt man alles, um an irgendeinen Job heranzukommen.

Viele junge Menschen verlassen Griechenland. Gibt es denn gar kein Licht am Ende des Tunnels?

Ich sehe es derzeit nicht. Die Regierung ist diskreditiert, die europäischen Politiker sind diskreditiert und es ist den Griechen hoch anzurechnen, dass sie die Idee der europäischen Integration nicht völlig verworfen haben. Aber sie sind sehr sauer auf die europäischen Politiker, auf die Austeritätspolitik und vor allem auf Angela Merkel.

Die Deutschen fühlen sich aber von den Griechen ungerecht behandelt - schließlich hat Deutschland bei den Bailouts dem Land geholfen. Zum Dank wird Angela Merkels Bild in Griechenland gerne mit einem Hitler-Bärtchen verziert . . .

Waren die Bailouts eine Hilfe? Nein. Die Bailouts haben unseren Schuldenstand erhöht. Vergangenes Jahr wurde das zweite Bailout-Paket verabschiedet - dabei ging es um 130 Milliarden Euro. Davon wurden 93 Milliarden sofort für die Gläubiger reserviert. Nach einem jüngsten Bericht der EU-Kommission wurden 148 Milliarden Euro an Griechenland überwiesen, mehr als zwei Drittel davon sind aber an europäische Banken zurückgeflossen. Zuvor war der Schuldenstand Griechenlands 129 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, heute stehen wir bei 179 Prozent. Beim zweiten Bailout wurde ein eigenes Konto vorgesehen, in das die Privatisierungserlöse fließen sollen. Wir verkaufen also griechisches Vermögen und die Erlöse gehen dann auf dieses Konto, mit dem Gläubigeransprüche befriedigt werden. Bei den Bailouts ging es immer um das Überleben der Gläubigerbanken und um das Überleben des Euro und nicht um das Überleben Griechenlands.

Auch die politische Szene hat sich radikal verändert. Sie selbst sind Mitglied der stärksten Oppositionspartei, der linken Syriza.

Vergangenes Jahr haben die Wahlergebnisse einen Linksrutsch gebracht - und zwar nicht deshalb, weil die Griechen jetzt plötzlich alle Linke sind.

Die europäischen Eliten stehen den Kreditgebern sehr nahe. Sie haben immer davor gewarnt, wenn Griechenland finanziell scheitert, dann scheitert Europa. Mit dieser Art von Domino-Theorie haben sie ganz Europa in Geiselhaft genommen. Doch ich glaube, wovor sie noch mehr Angst haben: vor einem politischen Domino. Wenn die europäische Politik gegenüber Griechenland weitergeht, dann wird die soziale Unzufriedenheit noch größer werden - und damit werden auch die Faschisten weiter gestärkt. Ich glaube, es wird Ende des Jahres zu Neuwahlen kommen. Vielleicht übernimmt Syriza dann Regierungsverantwortung. Aber: Es könnte auch die faschistische Rechte gestärkt werden.

Zur Person





MaricaFrangakis Ioannou

studierte Wirtschaft unter anderem an der London School of Economics. Sie arbeitete im Bankwesen und ist Gründungsmitglied von Attac Hellas sowie Mitglied der EuroMemo Group für alternative Wirtschaftspolitik. Die Griechin sprach beim diesjährigen Dürnstein-
Symposion.