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Bei Chips hat China viel Luft nach oben

Von WZ-Korrespondent Bernhard Seyringer

Wirtschaft

Jahrelang war die staatliche Förderpolitik für Halbleiter wenig effizient. Nun hat Peking sie neu ausgerichtet.


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Im März 2023 hat China seine industriepolitische Strategie geändert. Der Hintergrund, ist die desaströse Bilanz der bisherigen Ausrichtung. Ein großer Schritt für ein Land, in dem die Halbleiterindustrie von Mao höchstselbst als konterrevolutionär gebrandmarkt wurde. Erst in den späten 1980er Jahren nahm man die Forschung wieder auf. Mit verheerendem Rückstand. Xi Jinping hatte 2014 der Entwicklung von Chips erneut höchste Priorität verliehen. Die Zwischenbilanz nach fast einer Dekade ist ernüchternd. Gegenwärtig gibt es wohl keine andere Industrie in China, deren politische Programmatik weiter von der technologischen Realität abweicht. Die Ära der Globalisierung ist vorüber. Geopolitische Kalküle bestimmen die Technologiepolitik. Die Westmächte haben erkannt, dass China nicht Kooperation, sondern Dominanz sucht. Taiwan steht mehr denn je im Zentrum einer möglichen, offenen Konfrontation.

Praktische Globalisierung

Die Halbleiterindustrie wird seit Dekaden von den USA angeführt, die fast 50 Prozent (circa 190 Milliarden US-Dollar) des Weltmarktanteils kontrollieren. 8 der 15 größten Halbleiterunternehmen haben ihren Sitz in den USA. Die Industrie ist grob in die Bereiche Rohstoffgewinnung, die drei Fertigungsschritte Design, Produktion, Endfertigung und die Produktionstechnik untergliedert. In der Rohstoffgewinnung von Silizium haben China mit 68 Prozent und Russland mit 7 Prozent den größten Output. Norwegen und die USA haben ungefähr 4 Prozent. Noch deutlicher ist der Konzentrationsgrad beim Rohstoff Gallium, der als Nachfolger von Silizium gilt: China verfügt über 97 Prozent der aktuell bekannten Weltreserven.

Den Weltmarkt im Bereich Chip-Design, also der Entwicklung des Layouts der mikroskopisch-kleinen Leiterbahnstrukturen, dominieren US-Unternehmen. In der Produktion werden die Leiterbahnen mittels unterschiedlicher lithografischer und chemischer Verfahren auf das Trägermaterial Silizium aufgebracht. Nur um die vielfach unterschätzte Komplexität darzustellen: Um die hauchdünne Scheibe Silizium mit den Schaltkreisen zu versehen, werden in mehr als tausend Produktionsschritten etwa 400 Chemikalien und 50 verschiedene Apparate benötigt. Die Fertigung ist in Ostasien konzentriert. In Taiwan, China, Singapur und Südkorea werden 75 Prozent aller Chips produziert. Nur drei Unternehmen weltweit sind dazu in der Lage, die leistungsfähigsten Bauelemente serienmäßig zu produzieren: der US-Konzern Intel, Samsung aus Südkorea und das taiwanesische Unternehmen TSMC.

Die Endfertigung wird von taiwanesischen Firmen dominiert und ist der einzige Fertigungsschritt, in dem China über ernsthafte Weltmarktanteile verfügt.

Alle drei Fertigungsschritte können nur wenige Unternehmen abdecken: Intel, Samsung, SK Hynix und Micron Technology. Europa hat mit Infineon, NXP und STMicroelectronics drei in den Top-20. In weiten Teilen der Produktionstechnik ist der Weltmarkt monopolistisch organisiert. Die Entwicklung der Fertigungssoftware wird von drei amerikanischen Unternehmen dominiert. Der Bereich der modernsten Lithographieapparate, ohne die die Produktion von Hochleistungschips unmöglich ist, wird fast vollständig vom niederländischen Konzern ASML beherrscht.

Förderpolitik neu aufgesetzt

Die im März beschlossene Neuausrichtung der staatlichen Förderpolitik ist revolutionärer als im ersten Moment erkennbar. Die bisherige Politik einer direkten Intervention in die Forschung der geförderten Unternehmen war in den meisten Fällen schlicht ineffizient. Nun ist es fünf Unternehmen gestattet, ohne direkte staatliche Vorgaben zu arbeiten: der Semiconductor Manufacturing Industry Company (SMIC), der Hua Hong Semiconductor und der Huawei-Tochter HiSilicon sowie dem Ausrüstungshersteller Naura und der Advanced Mico-Fabrication Equipment China (Amec).

Die Neuausrichtung ist auch eine Kritik an der bisherigen Konzentration auf den Nationalen Fonds zur Förderung der Halbleiterindustrie, den "Big Fund", der 2014 eingerichtet wurde. Dieser hält Minderheitsanteile an 74 Firmen und hat gut 2.700 Industrieinvestments getätigt.

Von den knapp 15 Milliarden US-Dollar, die bisher zur Verfügung gestellt wurden, sind ein Drittel in die Erweiterung der Produktionskapazitäten und etwa ein Fünftel in die Weiterentwicklung der Design-Kapazitäten geflossen - nur vergleichsweise marginale Summen in den Forschungsbereich Produktionsausrüstung und Materialien. Das heißt, die bisherige Förderpolitik hat nicht versucht, die größten nationalen Defizite zu beheben. Der "Big Fund" war fast ausschließlich für die angewandte Forschung und Produktion vorgesehen. Zum Beispiel halten die seit 2019 geförderten Unternehmen Amec und Naura immer noch weniger als ein Prozent am Weltmarkt. Der wichtigste Anbieter für Fertigungssoftware, Empyrean, erreicht sogar nur 10 Prozent Marktanteil am chinesischen Heimmarkt, obwohl er Teil des Rüstungselektronikkonzerns China Electronics ist und seit 2009 staatliche Unterstützung erhält.

Internationale Abhängigkeiten

Chinesische Unternehmen sind zwar mittlerweile in der Lage, den gesamten Produktionsprozess abzudecken, sind aber vollständig von internationaler Technologie, Fertigungstechnik und von Patenten in allen Bereichen abhängig. Das zeigt sich auch am Beispiel HiSilicon: Das Unternehmen ist zwar in der Lage, die modernsten Chips zu entwickeln, muss allerdings auf Design-Patente des britischen Unternehmens ARM zurückgreifen und bei TSMC produzieren lassen.

Das bedeutet nicht, dass China in vielen Bereichen keine großen Fortschritte erzielt hat. Aber die Fortschritte der vergangenen beiden Dekaden entstanden durch die Bedingungen einer globalisierten Arbeitsteilung. Diese Ära scheint vorüber. Die Biden-Administration hat im August 2022 den "Chips and Science Act" im Umfang von 52,7 Milliarden US-Dollar zur Förderung der US-Halbleiterindustrie verabschiedet. Japan, die Niederlande und die USA haben einen Vertrag abgeschlossen, der verhindern soll, dass China die modernste Fertigungstechnik erwerben kann. Und Deutschland ist kürzlich in Verhandlungen zur Exportbeschränkung von Chemikalien zur Halbleiterproduktion eingetreten.

Begehrliche Blicke nach Taiwan

Fasst man die drei größten Halbleiterunternehmen Taiwans zusammen, kontrolliert der Inselstaat fast die Hälfte der weltweiten Chip-Produktion - eine für China fast unwiderstehliche Versuchung. Auch, wenn eine D-Day-ähnliche Landeoperation der chinesischen Armee auf Taiwan nicht zu erwarten ist, weiß man in Peking, dass bereits eine Störung der Halbleiterproduktion durch Stromausfälle oder Cyberangriffe, die globalen Lieferketten derart stören würde, dass sich die westlichen Industrien im Kontext der aktuellen Chip-Knappheit wohl nur schwer davon erholen würden.