Homeoffice und Künstliche Intelligenz, flexible Arbeitszeiten bei variabler Bezahlung in sinnerfüllenden Jobs für nachhaltig orientierte Unternehmen - am Arbeitsmarkt findet gerade eine Revolution statt.
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Rund um das Thema Arbeit, Arbeitszeit, Bezahlung und Produktivität wird aktuell viel diskutiert. Naturgemäß gibt es dabei zwei Seiten: jene der Arbeitnehmer und jene der Arbeitgeber. Während die einen argumentieren, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreich bei Arbeitszeitverkürzung leidet und eine solche bei vollem Lohnausgleich nicht finanzierbar ist, betont die andere, dass die seit Jahrzehnten stetig wachsende Produktivität und Arbeitsverdichtung entsprechend abgegolten werden muss.
Beide haben recht. Und es gilt, diese Gegensätze zu klären sowie Kompromisse zu finden. Denn tatsächlich ist das gesamte Themenfeld Arbeit im Umbruch, nicht nur in Österreich, sondern weltweit. Vergleichbar mit der Ära der industriellen Revolution werden die Karten derzeit neu gemischt. Zu hybridem Arbeiten zwischen Office und Homeoffice kommen flexible Arbeitszeiten, Künstliche Intelligenz (KI) und die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit, respektive sogenannte Green Jobs, hinzu.
Voraussetzung für all das sind allerdings gut ausgebildete, belastbare und kreative Arbeitnehmer, die sich laufend weiterbilden. Aber genau diese wollen natürlich auch entsprechend entlohnt werden. Da sie zunehmend zur Mangelware werden - Stichwort Fachkräftemangel -, haben sie nun erstmals seit Jahrzehnten ein wenig Verhandlungsspielraum. Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass ihre Bedürfnisse zumindest teilweise berücksichtigt werden.
Auslaufmodell"Zeit gegen Geld"
Denn während die Arbeitszeit sich zunehmend vom Nine-to-five-Rhythmus entfernt, erhöht sich die Belastung aufgrund ständiger Erreichbarkeit, steigender Verantwortung und zunehmender Gleichzeitigkeit verschiedener Tätigkeiten laufend. Folge davon sind die schon vor der Pandemie stark angestiegenen Burnout-Raten, psychische Erkrankungen haben quasi Hochkonjunktur. Nicht jeder kann mit dem rasenden Tempo der Entwicklung mithalten, brauchen würde man aber viele Menschen, um den Arbeitskräftebedarf zu stillen. Es gilt daher, Arbeit neu zu definieren.
Alles neu heißt auch, Arbeit und Entlohnung neu zu definieren. Das ist eine Mammutaufgabe, die uns noch Jahrzehnte beschäftigen wird. Umso dringender ist es, damit anzufangen. Tatsächlich wird es schwierig, das Verhältnis von Arbeit und Lohn quer über alle Branchen und Berufsfelder gleichermaßen festzusetzen. Ein Bürojob etwa kann teils im Homeoffice erledigt werden, wird aber von KI-Anwendungen künftig verstärkt automatisiert. Die menschliche Kontrolle spielt dabei eine wichtige Rolle. Verantwortung ist daher hier ein großes Thema - die für die Arbeit aufgewendete Stundenanzahl verliert hingegen zunehmend an Bedeutung.
Ein Koch, eine Kellnerin oder jemand, der im medizinischen oder therapeutischen Bereich arbeitet, wird hingegen weiterhin hauptsächlich physisch, in Präsenz, arbeiten müssen. Die dafür aufgewendete Stundenanzahl dürfte dabei weiterhin für die Bezahlung entscheidend bleiben.
Das einfache Tauschgeschäft von Zeit gegen entlohnte Arbeit sei veraltet, "das Wechselspiel ist komplizierter geworden", meinte Angelika Schmidt, Professorin für Change Management an der Wirtschaftsuniversität Wien jüngst bei einer APA-Veranstaltung zum Thema "Arbeit in der Krise". Ähnlich äußerte sich ebendort Politikwissenschafterin Barbara Prainsack: "Erwerbsarbeit funktioniert für viele arbeitende Menschen nicht mehr länger."
In den vergangenen Jahrzehnten hätten die Löhne mit den Produktionsgewinnen und den Renditen auf Kapitalvermögen nicht Schritt gehalten, so die Professorin der Universität Wien. Es gehe folglich um Flexibilisierung im Sinne von mehr Mit- und Selbstbestimmung durch den Arbeitnehmer, ob bei der Organisation von Arbeitszeiten oder beim Setzen von Zielen.
Selbstorganisation und Mitsprache, flexiblere Arbeitszeiten, aber damit auch flexible Gehaltsbestandteile, Teamwork und Fairness sind die wesentlichen Parameter, geht es um neue Gehaltsmodelle, die teils als "New Pay" bezeichnet werden.
Immerhin, die Pandemie samt dem dazugehörigen Digitalisierungsschub bis ins Homeoffice, haben hinlänglich bewiesen, dass ein Großteil der Beschäftigten zu Hause eher zu viel als zu wenig arbeitet. Und das ganz ohne physische Beaufsichtigung durch Vorgesetzte, die plötzlich dafür sorgen mussten, dass sich niemand übernahm. Eigenverantwortung, Disziplin und Leistungsbereitschaft sind also ohnehin breitflächig vorhanden, fehlt "nur" noch eine angemessene Abgeltung und gerechte Verteilung der Arbeit selbst.
Geld allein machtnicht glücklich
Nun mag die Arbeitgeberseite argumentieren, dass sie angesichts multipler Krisenlagen kein Geld mehr hätte, um all die Wünsche der Arbeitnehmer abzugelten. Wie gut, dass Geld hier offenbar ohnehin keine singuläre Rolle mehr spielt - jedenfalls, was die Motivation betrifft. Und damit ist jüngsten Umfragen zufolge, wie etwa im Rahmen der Ö3-Jugendstudie, übrigens nicht nur die GenZ gemeint. Sie treibt zwar mit ihrer Forderung nach einer besseren Work-Life-Balance derzeit zwar die Arbeitgeberseite massiv vor sich her. Grundsätzlich fühlen sich aber auch die Babyboomer im Alter von 50plus von der Thematik angesprochen.
Eine Generationen-Auswertung auf Basis einer Forsa-Studie unter über 3.000 sozialversicherungspflichtigen Angestellten in Deutschland im Auftrag des Job-Netzwerkes XING ergab jedenfalls, dass gerade die "Boomer" derzeit besonders intensiv über Jobwechsel nachdenken. Auslöser dafür: ein zu niedriges Gehalt bei zu hohem Stresslevel sowie Zweifel an der Unternehmensstrategie.
Boomer und Generation Z: gar nicht so unterschiedlich
"Zukünftig dürfte die Attraktivität für ältere Arbeitnehmer ein wichtiger Wettbewerbsfaktor für Arbeitgeber werden", gibt Xing-Arbeitsmarktexperte Julian Stahl zu bedenken. Zuwanderung alleine werde das Problem fehlender Fachkräfte nicht lösen. Die Generation X sei zudem ein wichtiger Wissensträger. Zudem sind die Älteren beim Gehalt sogar ein wenig zugänglicher - wenn auch womöglich nur deswegen, weil sie bereits gut verdienen und so leichter Abstriche machen können. Wichtig ist ihnen vielmehr ein sinnerfüllender Job in einem nachhaltig agierenden Unternehmen mit gutem Arbeitsklima.
Über die Hälfte der Deutschen und Österreicher wünschen laut Xing jedenfalls eine Diskussion über neue Vergütungsmodelle und spricht sich dafür aus, dass diese nicht mehr allein die Präsenzzeit bei der Festsetzung der Gehaltshöhe ansetzen.
"Zufriedenheit ist durch die extrinsische Motivation Gehalt nicht unendlich steigerbar", erklärt dazu auch der deutsche Arbeitspsychologe Thomas Rigotti in einem Interview, das anlässlich des Festivals NWX23 Mitte Juni rund um das Thema Arbeit und Zukunft publiziert wurde. Es gehe vielmehr um als gerecht empfundene Bezahlung. Diese helfe wiederum Stress und Frust leichter wegzustecken.
Eine wichtige Voraussetzung hierfür sei allerdings Transparenz in Sachen Gehälter. Und das ist ein Thema von gesellschaftlicher Spannweite, gilt doch das Reden über Geld in unseren Breiten immer noch als tabu. In den wenigsten Unternehmen wissen alle Mitarbeiter, wer was verdient. Und mit der Gendergerechtigkeit, also dass Frauen und Männer für die gleiche Arbeit gleich viel verdienen, sieht es auch nicht gerade rosig aus in Österreich.
Wie man es dreht und wendet, über Arbeit, Zeit und Geld muss also geredet werden. Viele Regeln und Referenzmodelle zur Entlohnung, die seit Ewigkeiten in Stein gemeißelt scheinen, müssen neu festgelegt werden. Eine Lösung für alle Branchen und Berufe wird es dabei jedoch nicht geben.
Eine solche Neuorientierung wird allerdings von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern viel Kommunikations- und Kompromissbereitschaft verlangen. Hinzu kommt, dass die Themen KI und Arbeitskräftemangel der ganzen Diskussion zusätzlich eine erhebliche Dringlichkeit verleihen. Denn beide wirken sich massiv auf die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Landes aus, ein internationales Wettrennen hat hier längst begonnen.
Die neuen Faktoren, welche die Arbeit der Zukunft prägen, sind zusätzlich auf allen Ebenen zu berücksichtigen, vom Bildungsbereich über den Arbeitsmarkt bis zum Pensionssystem. Die Frage, wie Arbeit künftig definiert werden soll, hat das Potenzial für eine Revolution. Statt sie zerstörerisch wirken zu lassen, könnte man diese Energie aber auch positiv nutzen.