Medien leiden unter den Fehlern der Vergangenheit. Die Politik inseriert viel und fördert falsch.
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Toxisch ist sie, die Beziehung zwischen Medien und Politik. Expertinnen und Experten sprechen von einer wechselseitigen Abhängigkeit: Die Politik inseriert - nicht immer, um nur zu informieren. Im Boulevard nutzen manche Medienmacher das als Geschäftsmodell und fordern sogar Inserate ein. Ein jahrzehntelanges Schweigen bricht Stück für Stück auf, Ex-Politiker erzählen von Inseratenwünschen. Gleichzeitig ermittelt die Justiz wegen Amtsmissbrauch, Bestechung und Bestechlichkeit. Im ÖVP-U-Ausschuss mussten Beamte, Ministerinnen und Minister tagelang die Inseratenpolitik ihrer Ministerien erklären. Nur selten waren diese Erklärungen zufriedenstellend.
Gleichzeitig durchlebt die Medienbranche einen Umbruch: Der ORF soll künftig über eine Haushaltsabgabe finanziert werden, die "Wiener Zeitung" übers Bundesbudget. Ein Personalabbau steht bevor. Beim "Kurier" ist man gerade dabei, mehr als zehn Prozent des Personals abzubauen und auch bei der "Kleinen Zeitung" wurde schon reduziert. Medien sind in einer wirtschaftlichen Zwickmühle, in die sie sich auch durch Fehler in der Vergangenheit manövriert haben. Besonders paradox dabei: Österreichische Medien haben Entwicklungen verschlafen, weil sie zu gut durch vergangene Krisen gekommen sind.
Laut Andy Kaltenbrunner, Medienforscher und Geschäftsführer des Medienhauses Wien, hatte das Platzen der Dot-Com-Blase Anfang der 2000er und die Wirtschaftskrise 2008/09 relativ geringe Auswirkungen auf österreichische Medien. Sie seien deshalb nicht gezwungen gewesen, neue Geschäftsmodelle abseits der Printausgaben auszuarbeiten und konnten in ihrer Wohlfühlzone bleiben. "Es gab zwar Inserateneinbrüche, die waren aber temporär durch stabile Abomodelle abfangbar", so Kaltenbrunner. Anderen Ländern sei es anders ergangen, meint auch Thomas Steinmaurer von der Paris Lodron Universität Salzburg. Man sei "mit Verspätung in die Krise" geraten, so der Kommunikationswissenschaftler. Erst jetzt, mit fast fünfzehnjähriger Verspätung, erreicht der digitale Umbruch auch die heimische Medienlandschaft. Sein Kollege Stefan Gadringer sagt, dass Medien lange an Print festgehalten haben, obwohl man gewusst habe, dass der Markt für gedruckte Medien immer kleiner werde. Es sei sich nur lange trotzdem noch ausgegangen.
Die Zahl der Journalisten sinkt seit Jahren
Im Vergleich dazu Spanien. Dort hat die Wirtschaftskrise 2009 ein Sterben der Zeitungen herbeigeführt. An ihrer statt sind viele kleinere Projekte ins Leben gerufen worden, die es geschafft haben, sich auf dem Markt zu etablieren und sogar zu wachsen. Qualitativ können sich viele auch sehen lassen, sagt Kaltenbrunner.
Die derzeit laufenden Diskussionen, wonach der Online-Auftritt vom öffentlich-rechtlichen ORF Mitschuld an der jetzigen Situation habe, erteilen alle Forscher, mit denen die "Wiener Zeitung" gesprochen hat, eine Absage. "Es hat ja niemand die gesamte Branche abgehalten, gemeinsam vernünftige Finanzierungsmodelle für eigenständige Inhalte zu entwickeln", so Kaltenbrunner. Gadringer stimmt dem zu. Einen Online-Zugang beim Print-Abo anzuhängen, führe dazu, dass die Leserinnen und Leser beim Wegfall des Printprodukts auf einmal das Gleiche zahlen müssten, aber weniger bekommen würden.
Um Leserinnen und Leser nach Jahren des Gratiszugangs doch noch vom Zahlen für Inhalte zu überzeugen, braucht es hohe Qualität. Hier stehen wir vor dem nächsten Problem. Die Zahl der Journalistinnen und Journalisten sinkt. 2008 zählte man für den Journalismus-Report noch 7.000 Reporter, 2019 kam man nur mehr auf 5.300. Und die Zahl dürfte weiter sinken. Der Grund dafür sind zurückgehende privatwirtschaftliche Inserateneinnahmen, die man mit Einsparungen abfangen wollte. Im gleichen Zeitraum seien, so Kaltenbrunner, die Regierungsinserate angestiegen. "Was an Inseraten weggefallen ist, wurde offensichtlich durch öffentliche Inserate aufgefangen." Messbar sei dies aber erst durch die Einführung der Transparenzdatenbank 2011. Detail am Rande: Die Transparenzdatenbank sei sehr fehlerhaft, so Gadringer, mit ihr zu arbeiten, mühsam und nur schwer bewerkstelligbar.
Wahre Transparenz bietet sie auch nicht, der rot-schwarze Gesetzgeber hat einst dafür gesorgt, dass die Daten alle zwei Jahre gelöscht werden müssen. Ein Projekt der FH Joanneum war notwendig. Sie hatte die Daten rechtzeitig abgespeichert und stellt sie auf eigene Kosten zur Verfügung.
Inserate der Bundesregierung sind versteckte Förderungen. Gadringer beziffert das Verhältnis zwischen Inserat und Förderung mit dem Faktor zehn. Für jeden Euro an Förderung gibt es zehn Euro an Inseraten. Während der Corona-Pandemie stieg das noch einmal gehörig an, was aber an einer tatsächlichen Informationspflicht lag. Das geht selbst aus Aussagen des früheren Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) hervor, nachdem er im Jänner 2021 versuchte, sich für die Werbebudgets seiner Regierung zu rechtfertigen. Inserate des Bundes würden nach objektiven Kriterien vergeben werden, meinte Kurz damals und wiederholte das mit Blick auf die Werbeausgaben des Finanzministeriums, das erst vor wenigen Wochen im Fall Dichand wieder für Aufregung sorgte - dazu später mehr. Die Kriterien seien Reichweite und Auflage, meinte Kurz damals. Doch Auflage sei nichts anderes als eine Förderung der Produktion, meint Kaltenbrunner. Dafür zähle nämlich einzig und allein, wie viele Exemplare die Druckerei verlassen würden. So fördert man also nur das Bedrucken von Papier. Selbst die damalige Verteidigung von Kurz hatte nichts mehr mit dem gesetzlich notwendigen Informationsgedanken eines Inserates zu tun, sondern mit einer versteckten Druckförderung.
Medienforscher Steinmaurer vermisst bei der Medienpolitik der Bundesregierung generell den Innovationsgedanken, es fehle der Blick in die Zukunft. "Es braucht eine Förderung um den Wettbewerb von Qualität." Derzeit seien Medien darauf ausgerichtet, den Status quo zu erhalten. "Medien sind einerseits ein demokratisches Gut, andererseits ein Wirtschaftsgut", so Steinmaurer. Das bedinge eine gezielte Förderung von Qualität, um die demokratiepolitische Aufgabe von Medien abzusichern. Stattdessen gebe es derzeit nur das Gießkannenprinzip, "von dem man sich verabschieden müsste". Das zeigt auch der Fall Dichand. Die "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand soll sich beim damaligen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) über die Inseratenhöhe des Konkurrenzblattes "Österreich" beschwert haben. Man sei "geschockt, dass ihr Fellner so viel Geld zukommen lässt", soll Dichand in einer Chatnachricht geschrieben haben. Dem damaligen Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid, habe sie dann auch die Rute ins Fenster gestellt. "Wir können auch anders", soll sie Schmid geschrieben haben. Die Justiz ermittelt.
Fokussierte Förderungen oder Gießkanne
Zu viele Medien hat Österreich eigentlich nicht. Im Vergleich zu Ländern wie Spanien, Dänemark und den Niederlanden gibt es hierzulande sogar relativ wenige Medienprodukte. Norwegen hat 5,4 Millionen Einwohner und rund 50 Tageszeitungen. Auch in Spanien haben sich seit 2019 viele, teils regional ausgerichtete, Medienangebote gebildet. Der große Unterschied zu Österreich: Dort ist man es gewohnt, für sein Medium zu zahlen, selbst wenn man es "nur" im Internet konsumiert. Während der Pandemie und den steigenden Preisen habe ein spanisches Medium seinen Abonnenten nach einer Preiserhöhung freigestellt, den früheren, billigeren Preis zu zahlen. Rund 90 Prozent hätten freiwillig den höheren Preis gezahlt, weil sie vom Produkt überzeugt waren, erzählt Kaltenbrunner.
"Österreich ist hier definitiv kein Vorzeigeland", meint auch Gadringer von der Universität Salzburg. Es gäbe noch Platz für mehr Angebot. Allein demokratiepolitisch braucht es eine größtmögliche Medienvielfalt. Da Problem sei eher andersrum: "Der Markt ist gesättigt von zu wenig Anbietern", meint der Medienwissenschaftler. Die Produkte des österreichischen Medienmarktes sind in der Hand einiger weniger Unternehmen, gesund sei diese Medienkonzentration nicht.
Auch Steinmaurer hält "gezielte Neugründungen im Digitalen" für notwendig. Es würde gar nicht viel Geld brauchen, um neue Produkte, die sich von Anfang an anders aufstellen, zu fördern, so Kaltenbrunner. Er verweist auf die Medienförderung der Stadt Wien, die er nach internationalem Vorbild mitentwickelt hat und die auch die Anstellung von Journalistinnen und Journalisten fördert.
Ursprünglich bis Ende 2022 angelegt, wurde sie nun für weitere drei Jahre verlängert, erzählt Evelyn Hemmer, Projektleiterin der Wirtschaftsagentur Wien, die die Medienförderung abwickelt. "Es war nie eine Frage, ob sie verlängert werden soll, sondern nur wie", meint sie auf die Frage, ob das Programm als Erfolg zu werten sei. Seit 2019 wurden 156 neue Medienprojekte gefördert. Rund ein Drittel davon waren Neugründungen wie das Medium "andererseits", das am Donnerstag den Concordia-Preis in der Kategorie Menschenrechte verliehen bekommen hat. Natürlich haben sich auch die etablierten Medien für diese Projektförderungen beworben, das Nachrichtenmagazin "Profil" hat so sein Faktenformat "Faktiv" eingeführt, die Investigativplattform "Dossier" ließ sich ihr erstes Printprodukt fördern und der "Falter" seinen täglichen Wien-Newsletter. Die Förderschiene würde laut Hemmer mittlerweile als Best-Practice-Modell in ganz Europa gelten. Man habe so viele Anfragen aus Deutschland bekommen, dass man eine eigene Informationsseite dazu aufsetzen musste. Insgesamt wird die Förderschiene 16,5 Millionen Euro kosten. Zugesagt wurden bis dato 6,2 Millionen Euro.
Die Medienförderung ist ein Gegenentwurf zu Bundesförderungen und der dortigen Transformationsförderung, die eine Umorientierung auf den digitalen Markt bewirken soll. Dort wird zwar auch ein Newsletter gefördert, nur bekommt "Österreich" dafür 300.622 Euro.
Dabei wäre die Transformationsförderung des Bundes "ein mächtiges Instrument", glaubt Gadringer. Nur nicht auf die Art, wie es in der Praxis geschieht. "Die Fördertradition zieht sich durch", so der Kommunikationswissenschaftler. Man versuche dabei, den Status quo aufrechtzuerhalten.
Einfache Lösungen gibt es nicht
Wie man aus der Situation wieder rauskommen soll, weiß niemand so recht. Die Beziehungen zwischen Politikern und Medienmachern seien "zu verflochten", meint Gadringer. Auch Steinmaurer spricht von einer "demokratiepolitisch sehr problematischen" Situation. Eine Lösung hat auch Kaltenbrunner nicht. Sonst wäre er schon reich, sagt er scherzend. Klar ist: Ohne die öffentliche Hand gäbe es kaum Zeitungen auf dem Markt, sei es durch Inserate oder Förderungen. Kaltenbrunner schätzt die öffentlichen Hilfen auf hunderte Millionen Euro. Würden sie verschwinden, täten es ihnen viele Zeitungen gleich.
Ob sich die politischen Entscheidungsträger der schwierigen Situation bewusst sind, muss bezweifelt werden. Ist die Medienpolitik der türkis-grünen Regierung in der Lage, die Probleme zu lösen? "Die derzeitige nicht", meint Kommunikationswissenschaftler Steinmaurer.