Die Weltwirtschaft könnte erneut in eine Rezession schlittern.
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Wien/Washington/Peking. Die Weltwirtschaft steuert erneut einem Abgrund entgegen. Die letzte Krise ist noch gar nicht so recht überwunden, schon kündigt sich eine neue Phase der Instabilität an. Doch diesmal sieht es schlecht aus. "Wir könnten hier in ein Fahrwasser geraten, ohne dass noch Munition vorhanden wäre", erklärt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
In China ist der Shanghai Composite Index eingebrochen, der Renminbi befindet sich auf Talfahrt. Um die lahmende Wirtschaft anzukurbeln, schnürte Peking am Mittwoch ein Banken-Hilfspaket in Höhe von mehr als 100 Milliarden Dollar; die China Development Bank erhielt 48 Milliarden Dollar und die Export-Import Bank of China 45 Milliarden Dollar von der chinesischen Notenbank.
In Brasilien wiederum kündigt sich für dieses Jahr eine Rezession an. Große Firmen müssen Werke schließen, internationale Unternehmen fahren ihre Investitionen herunter, tausende Mitarbeiter werden entlassen. Das größte Unternehmen des Landes, der von einer Korruptionsaffäre gebeutelte Rohöl-Gigant Petrobras, sieht sich gezwungen, sein Tankstellennetz zu versilbern: Ein Viertel davon will soll an die Börse, erklärte der Konzern am Mittwoch.
In Russland ist der Rubel am Dienstag gegenüber Dollar und Euro auf den tiefsten Stand seit einem halben Jahr gefallen. Eine direkte Folge des Drucks sinkender Erdölpreise, nachdem das Land seit der Jahrtausendwende vor allem von steigenden Rohstoffpreisen profitiert hatte. Die Zentralbank in Moskau hat alle Hände voll damit zu tun, die Inflation in den Griff zu bekommen, während die Zinsen in Höhe von rund elf Prozent drohen, die Wirtschaft abzuwürgen. Für 2015 wird ein Rückgang des Wirtschaftswachstums in Höhe von 2,7 Prozent erwartet.
In Indien herrscht trotz des vom Internationalen Währungsfonds prognostizierten Wirtschaftswachstums von 7,5 Prozent Vorsicht. Der Grund: eine neue Datenerhebungsmethode der Regierung, deren Verlässlichkeit sich erst bestätigen muss. In Südafrika kämpft man mit einer Arbeitslosigkeit von 35 Prozent, während auch hier die sinkenden Rohstoffpreise auf die Wirtschaft drücken. Kurz: Den aufstrebenden Volkswirtschaften (Brics genannt), die der Motor der Weltwirtschaft sind, geht es schlecht.
Krise bei Schwellenländern reißt Europa mit
Die Misere bleibt freilich nicht auf diese Länder beschränkt und hat in einer global verflochtenen Wirtschaft Auswirkungen auf andere Regionen, zumal Europa. Denn geht es den Brics-Ländern schlecht, gibt es von dort auch keine Aufträge. Besonders betroffen sind derzeit die EU-Länder außerhalb der Eurozone, wo die Aufträge im Juni um 15 Prozent einbrachen. Doch auch die starke europäische Vorzeigewirtschaft Deutschland leidet. Konkretes Beispiel: der Hamburger Hafen. Nachdem dort ursprünglich mit einer Zunahme des Geschäfts gerechnet wurde, reduzierte sich der Umschlag an Containern im ersten Halbjahr um sieben Prozent. In Norwegen hat der Staatsfonds - der größte der Welt -, in den die Norweger ihre Ölgewinne investieren, im zweiten Quartal 2015 allein 8,8 Milliarden Dollar verloren. Es war der erste Verlust seit drei Jahren, bedingt durch die weltweit schwächelnden Märkte. Wenn schon dieses Vermögen sinkt, brennt der Hut, heißt es.
Anderes Beispiel: die Wechselwirkung zwischen China und Australien. "In China hat es eine Überinvestition in den Immobiliensektor gegeben", erklärt Dieter. Das habe dazu geführt, dass in Australien die Eisenerzpreise während dieser Zeit in die Höhe geschossen sind. Spitzenwert waren 190 Dollar pro Tonne Eisenerz. "Aktuell halten wir bei 50, weil die Chinesen ein bisschen weniger bauen. Allein dieses bisschen reicht nach den Kapazitätsausweitungen der letzten Jahre aus. China war der Haupttreiber bei den Preissteigerungen und jetzt ist er der Haupttreiber bei den Einbrüchen auf den Rohstoffmärkten", führt der Experte für Weltwirtschaft aus. Ein Abschwung, der ebenso Brasilien betrifft.
Das Ausmaß, in dem China als Motor für die Welt wichtig ist, veranschaulicht das Beispiel Zement. Die Chinesen haben in den Jahren 2011 bis 2013 mehr Zement verbraucht als die USA im gesamten 20. Jahrhundert, berichtet Bill Gates in seinem Blog. Diese Zahlen sind laut Dieter bereits verifiziert. Eine überzogene Nachfrage, die Peking in Zukunft normalisieren wird wollen, was wieder Folgen für die Weltwirtschaft nach sich zieht. Die große Angst ist, dass man einem erneuten Absinken einer Weltwirtschaftskrise mehr oder weniger hilflos gegenüberstehen würde. "Die möglichen Gegenmaßnahmen sind bereits ausgereizt", so Dieter, "man kann in der Geldpolitik nicht mehr viel machen und man kann in der Fiskalpolitik nicht mehr viel machen." Problematisch ist, dass es schon bei der auslaufenden Krise keinen konzertierten Plan gegeben hat. "Wir haben in den letzten Jahren ja auch keinen starken Aufschwung erlebt, sondern ein mageres Vor-sich-hin-Wursteln, und auf einmal steht schon die nächste mögliche Krise vor der Tür", sagt Dieter. "Wir gleiten in einen Zustand der Perpetuierung von Krisenmanagement und das ist etwas, das mit dem normalen Funktionieren von Marktwirtschaft nichts zu tun hat. Wir sind ständig am Löschen irgendwelcher Brände."
An ein weltweit gemeinsames Vorgehen ist offenbar nicht zu denken. "Bei den G20-Gipfeln beziehungsweise G7-Gipfeln sprechen wir über alles Mögliche, auch über die Ukraine. Aber über die Kernthemen wirtschaftlicher Verflechtung sprechen wir erstaunlich wenig. Wir haben gemeinsame Probleme, aber keine gemeinsamen Handlungen", ist Dieter verärgert. "Die EZB macht, was Europa nutzt, und achtet nicht darauf, was diese Politik für den Rest der Welt bedeutet. Dasselbe gilt für die Amerikaner und Japaner. Bestes Beispiel sind die USA: Die haben die Zinsen brutal gesenkt, sie haben sie seit fast zehn Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau, was das für den Rest der Welt - auch die Schwellenländer - heißt, das ist der amerikanischen Geldpolitik bzw. der Regierung relativ egal."
Doch was, wenn es mangels eines globalen Plans tatsächlich zu einer erneuten Krise kommt? In diesem Fall würden die großen Notenbanken ihre ultralockere Geldpolitik fortsetzen, ist Dieter überzeugt. Das wiederum hätte Auswirkungen, die abzuschätzen heute noch gar nicht möglich ist. Die Liquidität, die in die Märkte gepumpt wird, könnte sich irgendwo konzentriert absetzen und Preisblasen bilden, "die dann wiederum irgendwann Krisenpotenzial in sich bergen".
Gleichzeitig birgt die längst erwartete Anhebung der Zinsen in den USA gleich eine doppelte Gefahr: Einerseits würde der Dollar anziehen, wenn die großen Nationalbanken wie EZB, London und Japan nicht mitziehen, was den amerikanischen Exporten und Wirtschaft schadet. Andererseits würde es zu Kapitalabflüssen aus den Schwellenländern führen und so die Situation noch weiter verschärfen.