Forschungsinstitut Silicon Austria Labs will Zahl der Mitarbeiter verdoppeln - doch auch in Elektronik ist Europa abhängig.
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Mikro- und Nanoelektronik mit intelligenter Software, energiesparende Antriebskonvektoren für die Stromerzeugung, Kommunikationssysteme, die riesige Datenmengen über den künftigen Mobilfunk-Standard der sechsten Generation weiterleiten, und die Verträglichkeit elektronischer Geräte: Das sind nur einige der Themen, an denen in den heimischen, 2018 gegründeten Silicon Austria Labs (SAL) geforscht wird.
Am Donnerstag unterzeichneten die Eigentümer Bund (50,1 Prozent), Elektronik-Fachverband, Steirische Wirtschaftsförderungsgesellschaft, Bundesland Kärnten und Upper Austrian Research GmbH im Vorfeld der Alpbacher Technologiegespräche eine Absichtserklärung, das Forschungszentrum bis 2030 weiter ausbauen zu wollen und die Zahl seiner Mitarbeiter zu verdoppeln.
"Wir spüren, was Abhängigkeit bedeutet von jemandem, der Krieg führt und Europa mit Energiepreisen unter Druck setzt", sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. "Es gilt, aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu lernen. Dasselbe darf uns nicht bei der Beschaffung von Mikrochips passieren." Einen Budgetplan enthält die Erklärung zur angestrebten starken Erweiterung aber noch nicht. Zuerst müsse man den Finanzrahmen für die Leistungsvereinbarungsperiode von 2024 bis 2026 verhandeln, sagte Gerald Murauer, Geschäftsführer der Silicon Austria Labs.
Vom Mobiltelefon über das E-Auto bis zum Staubsauger: Mikroelektronik ist fast überall drin. "Die ‚Südachse‘ Österreichs (Kärnten, Steiermark, Oberösterreich, Anm.) gilt, neben Dresden in Deutschland, Leuwen in Belgien und Grenoble in Südfrankreich, als Zentrum der Mikroelektronik", sagte Andreas Gerstenmayer, Vorstand des Leiterplattenherstellers AT&S. In Österreich sei eine kritische Masse insbesondere durch die Ansiedlung marktführender Konzerne wie dem Chiphersteller Infineon entstanden.
Für den Aufbau des SAL als Spitzenforschungszentrum für elektronikbasierte Systeme haben öffentliche Hand und Industrie bisher je 140 Millionen Euro bereitgestellt. Kürzlich erhielt die außeruniversitäre Forschungseinrichtung mit Hauptquartier in Graz und Standorten in Kärnten und Oberösterreich zusätzlich eine Sonderfinanzierung von 30 Millionen Euro vom Klimaschutzministerium für den Einsatz von Schlüsseltechnologien für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft.
Aus diesen Töpfen wurden laut Murauer der Aufbau der Forschungsinfrastruktur und "dutzende Forschungsprojekte" im Bereich 6G-Technologien, Leistungselektronik und Sensorik sowie ein 1000-Quadratmeter-Reimraum finanziert." Bis dato arbeiten an den SAL-Standorten 287 Mitarbeiter, die überwiegende Mehrheit davon in der Forschung. In Kooperation mit Industrie und Partnern werde man heuer "ein Projektvolumen von rund 30 Millionen Euro abarbeiten" und habe internationale Forschungsprojekte im Wert von neun Millionen Euro eingeworben, fasste Murauer zusammen. Bis 2030 wolle das Forschungsinstitut auf idealerweise 600 Mitarbeiter wachsen. "Wir sind auf einem sehr guten Weg in die europäische Champions League der Forschung", sagte er.
"In der globalen Branche der Elektro- und Elektronik-Industrie geht es darum, Schlüsselkompetenzen auch in Europa zu haben und zu bündeln", betonte Infineon-Chefin Sabine Herlitschka. Eine schwierige Aufgabe für die EU auf einer globalen Bühne, auf der China und Indien längst die Hauptrollen spielen, und auf der, wie der Industrielle Helmut List erklärte, "Lösungen extrem günstig" sein müssten, weil sie sonst "im Markt nicht ankommen".
"Bei allen Stärken hier in Österreich und Europa: Im Bereich Mikroelektronik haben wir die Abhängigkeit bereits", brachte es AT&S-Vorstand Gerstenmayer auf den Punkt. Gerade in der Hochtechnologie - etwa Mikro- oder Grafikprozessoren, die in jedes Smartphone und jede Festplatte eingebaut sind - sei dies der Fall. "Freilich gibt es Leuchttürme, aber wenn man sich die Prozesskette anschaut, sind wir dünn aufgestellt", sagte Gerstenmayer.
"Um Potenzen mehr"
Vor 20 Jahren habe sich die EU das Ziel gesetzt, 20 Prozent der weltweiten Wertschöpfung auf dem eigenen Kontinent zu lukrieren. Nach wie vor liege man allerdings bei acht Prozent.
Die Initiative des "European Chips Act" soll neue Impulse geben und den EU-Anteil an der weltweiten Produktion bis 2030 auf ein Fünftel erhöhen. Bei der Präsentation dieses Plans im Februar gab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekannt, dass zu bereits geplanten Investitionen von 30 Milliarden bis 2030 weitere 15 Milliarden Euro dazu kämen. Zum Vergleich: Derartige Budgets in den USA oder China würden sich, wenn man Investitionen und Forschung zusammenrechne, "auf um die 150 Milliarden Dollar" belaufen, sagt Gerstenmayer: "Das ist um Potenzen mehr. Wir müssen größer denken und solche Beträge auch für Europa aufstellen, um den Aufholprozess zu schaffen."