Alt-Kanzler Franz Vranitzky über die Reform der U-Ausschüsse und die Sinnlosigkeit von Hearings.
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Wien. Franz Vranitzky kennt das Parlament eigentlich fast ausschließlich aus der Perspektive der Regierungsbank. Als Mandatar nahm der Alt-Kanzler nur bei den Angelobungen unmittelbar nach Wahlen auf den Plätzen im Plenum Platz. Wie bewertet der Alt-Kanzler, der zehn Jahre, von 1987 bis 1997 einer großen Koalition vorstand, die Einigung auf eine Reform der Untersuchungsausschüsse?
"Wiener Zeitung": Herr Vranitzky, während Ihrer Kanzlerschaft kam es zu drei Untersuchungsausschüssen: Lucona 1988/89 sowie Noricum und Milchwirtschaftsfonds, beide 1989/90. Mussten Sie selbst als Zeuge aussagen?Franz Vranitzky: Ja, das musste ich, einmal, und zwar in der Causa Noricum.
Damals ging es um illegale Waffenlieferungen der Voest-Tochter Noricum. Wie haben Sie Ihren Auftritt als Kanzler vor einem U-Ausschuss in Erinnerung?
Als unangenehm, weil es sich dabei um einen Regiefehler handelte. Das Noricum-Thema fiel gar nicht in meine Amtszeit. In irgendeinem Gespräch im Ausschuss fiel mein Name, woraufhin es geheißen hat - ich glaube, es war der Abgeordnete Peter Pilz: Dann muss der amtierende Bundeskanzler auch vorgeladen werden. Und so kam es dann auch.
Peter Pilz jubelt über die Reform: Jetzt werde aus einem Regierungsparlament endlich ein Kontrollparlament. Tatsächlich konnten Regierungsparteien bis jetzt verhindern, dass Minister und Kanzler sich einem U-Ausschuss stellen mussten. Künftig kann die Minderheit jedes Regierungsmitglied bis zu zwei Mal vorladen. Eine gute Sache?
Ich möchte hier differenziert antworten. Die Einführung des U-Ausschusses als Minderheitsrecht ist der Opposition von den Regierungsparteien schon länger zugesagt gewesen. Egal, wie man dazu steht: Pacta sunt servanda, das ist jetzt geschehen. Wenn sich durch diese Reform der Grundcharakter der U-Ausschüsse weg von einer Tribunalisierung der Regierungsmitglieder und hin zu einer wirklichen Untersuchung ändert, dann sehe ich das positiv. In den U-Ausschüssen vergangener Jahre wurden mitunter die Zeugen wie Angeklagte vorgeführt, nur sind das eben keine Angeklagten. Wenn sich nun durch die Novelle dieses atmosphärische Klima ändern sollte, würde ich das sehr begrüßen. Was den Satz des Abgeordneten Pilz angeht, so sollte man nicht außer Acht lassen, dass die zentrale Aufgabe des Parlaments in der Gesetzgebung besteht; die Kontrolle gehört sicher dazu, aber die Gesetzgebung ist das Entscheidende.
Das stimmt in der Theorie, in der Praxis spielt das Parlament weder in der Gesetzgebung eine große Rolle, weil sich die legistische Kompetenz auf die Ministerialbürokratie konzentriert, noch im Bereich der politischen Kontrolle, weil bis dato die Minderheitenrechte unterentwickelt waren. Wie haben Sie das Parlament in Ihrer Zeit als Kanzler wahrgenommen?
Es stimmt schon, dass die Legisten der Ministerien das Rückgrat der Gesetzgebung waren; dies nicht zuletzt, weil die Abgeordneten selbst die Beamten bei der Gesetzwerdung in die Ausschüsse geladen haben. Die Ministerien sind nicht schuld, dass sie gute Legisten haben. Und auch ein Schulterschluss zwischen Regierungsmitgliedern und den Abgeordneten ihrer Fraktion liegt auf der Hand; da entstehen Bindungen und Loyalitäten. Dass dieses Naheverhältnis manchmal übertrieben wurde, will ich gar nicht bestreiten, aber das gehört mit zur parteipolitischen Auseinandersetzung.
Das Parlament wird zweifellos auch in Zukunft als Gesetzgeber das letzte Wort haben, aber durch das von Ihnen beschriebene Naheverhältnis von Regierung und Regierungsfraktionen könnte sich der Schwerpunkt der öffentlich wahrnehmbaren Rolle des Parlaments in Richtung Kontrolle verschieben. Sehen Sie auch eine Dynamik in diese Richtung?
Wo Dynamik wünschenswert wäre, ist beim Stellenwert der Abgeordneten zum Europäischen Parlament in den nationalen Parlamenten. Wenn wir Europa hoffentlich auch in Zukunft als wichtiges Projekt begreifen, dann muss die Politik ihren Bürgern europäische Themen nahebringen. Dazu gehört, dass wir lernen, dass die von uns gewählten EU-Mandatare keine Zentralbetriebsräte für österreichische Angelegenheiten sind, sondern Europapolitiker. Wenn durch das jetzt eingeführte Rederecht der EU-Abgeordneten im Nationalrat mehr Verständnis für Europa entsteht, wäre das höchst wünschenswert.
Das EU-Parlament unterzieht die Kandidaten für die EU-Kommission einem Hearing. Sollten sich nicht auch Ministerkandidaten einer Anhörung vor dem Nationalrat stellen müssen?
Ich verspreche mir davon nicht allzu viel. Zum einen würde auch nach einem Hearing beim Fehltritt eines Ministers alle nach der Verantwortung des Bundeskanzlers schreien; zum anderen ist es Sache des Bundespräsidenten die Regierungsmitglieder anzugeloben. Ich sehe auch eine gewisse Unvereinbarkeit eines solchen Hearings mit den Rechten und Pflichten des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung.
Eine Anhörung könnte immerhin dazu zwingen, die Mechanismen der Personalauswahl zu rationalisieren. Mancher wird ja nur Minister, weil er im richtigen Moment das Handy abgehoben hat.
Das würde sich nicht ändern. Jetzt ist es der letzte Augenblick vor der Angelobung, dann wäre es eben der letzte Augenblick vor dem Hearing.
Zur Person
Franz Vranitzky
Geb. 1937, Bundeskanzler (1986-97) und SPÖ-Vorsitzender (1988-97). 1970 begann der promovierte Handelswissenschafter als Berater von Finanzminister Hannes Androsch, stieg dann zum Generaldirektor der Länderbank auf; 1984 kehrte er als Finanzminister in die Politik zurück und arbeitete nach 1997 als Konsulent der WestLB und Aufsichtsrat bei Magna.
Franz Vranitzky
Geb. 1937, Bundeskanzler (1986-97) und SPÖ-Vorsitzender (1988-97). 1970 begann der promovierte Handelswissenschafter als Berater von Finanzminister Androsch, stieg dann zum Generaldirektor der Länderbank auf; 1984 kehrte er als Finanzminister in die Politik zurück und arbeitete nach 1997 Konsulent der WestLB und Aufsichtsrat bei Magna.