Staffan Normark von der schwedischen Akademie der Wissenschaften über die Vergabe-Praxis.
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"Wiener Zeitung": Schwedens Ausgaben für Forschung und Entwicklung stehen mit 3,41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an zweiter Stelle in Europa hinter Finnland. Sind Sie zufrieden?Staffan Normark: Wir wären gerne besser. Schweden hat auf hohem Niveau begonnen, sich aber nicht mit der Dynamik Dänemarks oder der Niederlande weiterentwickelt. Außerdem ist die Performance der Schweiz überlegen. Da wir viel investieren, wird diskutiert, was wir besser machen können. Könnten die Universitäten effizienter werden? Halten sie zu viele andere Verpflichtungen vom Forschen ab? Müssen wir aggressiver vorgehen beim Anweben von Spitzentalenten? All dies muss im Forschungsbudget Platz finden. In der Akademie evaluieren wir auch, wo sich die besten, interessantesten 250 Nachwuchsforscher befinden, um sie mit Förderungen nach Schweden zu holen. Der schwedische Forschungsrat und private Stiftungen stellen 300 Millionen Euro für Grants zur Verfügung.
In den vergangenen 30 Jahren gab es etwa gleich wenige schwedische wie österreichische Nobelpreisträger. Österreich steht an fünfter Stelle bei den Forschungsausgaben und reiht in Uni-Rankings unter ferner liefen - aber Schweden?
Auch das könnte bedeuten, dass wir das System verbessern müssen. Da die USA weniger Geld für Forschung haben als früher, haben wir nämlich erstmals eine realistische Chance im Wettbewerb um die besten Köpfe. Top-Forschern wollen wir bis zu 18 Millionen Euro für einen Zeitraum von zehn Jahren anbieten.
Sie waren im Nobel-Komitee für Medizin. Wie werden aus Forschern Nobelpreis-Kandidaten?
Das Komitee verschickt Calls zur Nominierung von Kandidaten. Preisträger, Universitäten und Akademien weltweit nominieren, wen sie für würdig halten. Dann wählen die Komitees aus hunderten Vorschlägen.
Warum werden manche Nobelpreise Jahre nach Abschluss der Forschungsarbeit vergeben - wie jener für das Higgs-Teilchen - und andere sofort erteilt, wie jener für die Entdeckung des "Wundermaterials" Graphen? Welcher Logik folgt die Jury in ihren Entscheidungen?
Es gibt keine Logik. Wichtig sind die Entdeckung und die Individuen, die sie gemacht haben. Manchmal ist es klar, wie etwa bei Shinya Yamanaka mit seinen induzierten pluripotenten Stammzellen (die wie embryonale Stammzellen alles können, aber ohne dass Achtzeller dafür verbraucht werden müssen, Anm.). Wenn eine frühere Entdeckung für die Nominierung grundlegend ist, wird der Preis geteilt. Physikalische Theorien, wie Peter Higgs’ These zu einem Mechanismus, durch den masselose Elementarteilchen in Wechselwirkung mit einem Hintergrundfeld massiv werden, sehen wir gerne nachgewiesen. Dann wiederum gibt es Erfindungen, deren Wichtigkeit wir antizipieren, wie Graphen oder die Transposons ("springende Gene"). Barbara Mc Clintock entdeckte sie auf Maisfeldern. Nach ihrem Nobelpreis 1983 wurden sie sehr wichtig, weil sie überall sind und eine Rolle bei Antibiotika-Resistenzen spielen. Dies vorherzusehen war eine bemerkenswerte Leistung des Komitees.
Francis Crick, Maurice Wilkins und James Watson erhielten 1962 den Medizin-Nobelpreis für ihr räumliches Modell der DNA. Ohne die Röntgenbeugungsdiagramme von Rosalind Franklin hätte es aber länger gedauert, die Doppelhelix-Struktur zu erkennen. Sollte das Komitee Franklin den Preis posthum verleihen?
Die Regeln verbieten posthume Verleihungen. Das ist vermutlich sogar gut, weil es sonst sehr viele tote Preisträger gäbe. So aber können nur Lebende im Oktober nominiert werden. Wenn sie nach der Nominierung sterben, erhalten sie den Preis trotzdem. Franklin starb jedoch vier Jahre vor der Nominierung. Begründungen für Zuerkennungen müssen 50 Jahre lang versiegelt bleiben. Es wäre aber interessant, alle zu studieren, weil ja auch andere, die ihn verdient hätten, den Nobelpreis nicht bekommen haben.
Wie wichtig ist die Anwendbarkeit von Forschungsergebnissen?
Im Willen von Alfred Nobel steht für Medizin, dass nur grundlegende Entdeckungen infrage kommen. Top-Grundlagenforschung steht aber meistens in Verbindung zu Anwendungen. Etwa ist die In-vitro-Fertilisation äußerst praktisch, oder sind Halbleiter nicht mehr wegzudenken.
Am kontroversiellsten wird der Friedensnobelpreis diskutiert, etwa jener für US-Präsident Barack Obama. Wie politisch ist dieser Preis?
Ob er politisch ist, ist schwer zu sagen, denn die Friedensarbeit wirkt sich per definitionem dadurch aus, dass die Zahl der Kriege sinkt. Aber dass die Mitglieder politische Stoßrichtungen verfolgen, glaube ich nicht. Alle Komitees arbeiten unabhängig und ich gehe davon aus, dass die Kollegen des Komitees für Frieden als moralische Autorität agieren, schon allein aufgrund der Tragkraft dieser Entscheidung.
Wem würden Sie gerne einen Nobelpreis geben?
Meine Frau sagt immer, Literatur hätte an Astrid Lindgren gehen sollen. Ich selbst habe mich aber unglaublich gefreut, als Tomas Tranströmer ihn bekommen hat. Das hat mich bewegt (der schwedische Lyriker war seit 1993 jährlich für den Preis nominiert worden. Er erhielt ihn 2011, Anm.).
Zur Person
Staffan Normark,
geboren 1945, ist ein schwedischer Mikrobiologe, Mediziner und Spezialist für Infektionskrankheiten. Der Professor am Karolinska Institut ist seit 2010 ständiger Sekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die die Nobelpreise für Chemie, Physik und Wirtschaft vergibt. Im Jahr 2004 war er Mitglied des Nobel-Komitees für Medizin.