Herbe Kritik an Spitzenkandidaten. | Mancherorts keine Wahlbeobachter. | Kabul. "Er ist der einzige Kandidat, der nicht in Mord und Korruption verwickelt ist", lobt der Hotelbesitzer seinen Gast, Bashir Bejan, der Präsident von Afghanistan werden will. Der großgewachsene Mann mit rotem Hemd und roter Krawatte sitzt in einem winzigen Zimmer in einer Kabuler Herberge, die bessere Zeiten gesehen hat.
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Draußen an der Straße im Taimani-Viertel steht eine Kopie des Pariser Eiffelturms, eine etwa 20 Meter große, himmelblaue Metallstruktur, die vor dem Hintergrund der hohen Berge absurd und zerbrechlich wirkt. Der 44-jährige Bejan ist Journalist und Herausgeber einer Zeitschrift. Er ist einer der mehr als 30 Kandidaten, die bei der Präsidentschaftswahl am kommenden Donnerstag antreten. Es ist eine Wahl unter Kriegsbedingungen.
Er sei der einzige Kandidat, der ohne Polizeischutz überall hin reise, sagt Bejan von sich stolz. "Ich lehne Schutz ab, ich bin auf der Seite der Menschen". Dennoch werden wohl nur wenige der 17 Millionen Wahlberechtigten am Hindukusch für Bejan stimmen, der das Hotel in Kabul seit einem Monat ohnehin kaum verlassen hat.
Bejan ist dennoch überzeugt, dass er gute Chancen hat, wenn es bei der Wahl mit rechten Dingen zugeht. Der 44-Jährige findet kein gutes Wort für den amtierenden Präsidenten Hamid Karzai. Doch dessen schärfster Konkurrent, Abdullah Abdullah, kommt nicht besser weg. "Die Leute hassen die beiden. Alles, was die haben, ist Geld, Macht und Bosheit". "Sie kaufen sich die Stimmen. Ich glaube nicht, dass das Geld dafür aus ihren eigenen Taschen kommt", wettert Bejan.
Angst vor Entführung
Viele in Kabul sind desillusioniert, klagen über die hohe Arbeitslosigkeit, Korruption und die prekäre Sicherheitslage. Kaum ein Tag vergeht, an dem außerhalb der Hauptstadt nicht Armeekonvois, Sicherheitskräfte oder Regierungsbeamte angegriffen werden. Die Taliban, die ein Viertel des Landes beherrschen, haben zum Boykott der Abstimmung aufgerufen und in vielen Gegenden ihre berüchtigten Nacht-Flugblätter angeschlagen, in denen sie die Bevölkerungen warnen, zur Wahl zu gehen.
Mirwais Wardak wird sicher nicht wählen. Der ethnische Paschtune stammt aus dem Süden, wo die Taliban die Macht haben. Dort ist der 26-jährige Übersetzer registriert, dort muss er auch seine Stimme abgeben. Doch Mirwais weiß, was ihm dann blühen würde: "Ich würde gleich entführt werden", erklärt er. "Es ist eine ganz schlechte Situation dort". "Jeden Tag wird die Gegend bombardiert, jeden Tag wird jemand entführt."
Ausländer ziehen ab
"In manche Gebiete werden wir nicht einmal einheimische Wahlbeobachter schicken können," erklärt Philippe Morillon, der Chef der Europäischen Wahlbeobachter-Mission in Kabul. Seine Delegation sitzt im Hotel Intercontinental in Kabul. Morillon war schon zur letzten Wahl 2005 hier. "Es ist eine außergewöhnliche Mission", betont der französische Politiker und Militärmann. Morillon ist dennoch positiv gestimmt. Weniger als zehn Prozent aller Wahllokale seien in Gebieten, wo die Taliban herrschten. "Die Gegend, die sie kontrollieren, ist die am wenigsten besiedelte in Afghanistan."
Morillon hat Erfahrung in Krisengebieten. Im bosnischen Srebrenica wurde der Fünf-Sterne-General einmal zwei Tage als Geisel in einem Postamt festgehalten. Andere Ausländer hingegen haben Kabul bereits verlassen. Viele internationale Organisationen haben ihre Mitarbeiter zur Wahl in Afghanistan abgezogen. Bislang beschränken sich die Angriffe der Taliban vor der Wahl allerdings hauptsächlich auf Ziele außerhalb Kabuls. "Es gibt sehr viele Attacken auf Gouverneure und Polizeikommandeure in Distrikten", berichtet Alexander Schrade von der Welthungerhilfe in Kabul. Die Ziele lägen eher auf Provinzebene, wo der Schutz weniger groß sei als in der Hauptstadt. "Es ist wirkungsvoller, die lokalen Entscheidungsträger zu schwächen."
Selbst Analysten tun sich daher schwer, für die Wahl irgendeine Prognose abzugeben. Es ist überhaupt erst die zweite Präsidentenwahl in der Geschichte des Landes. Keiner weiß genau, wer überhaupt zur Abstimmung gehen kann und wird. Viele in Kabul denken, dass Hamid Karzai das Rennen machen wird. "Die meisten finden sich mit Karzai ab. Vieles ist so eingefädelt, dass er gewinnt", führt Alexander Schrade weiter aus.
Ohne Zweifel ist Karzai einer der stärksten Politiker des Landes. Mit Geschicklichkeit und politischem Instinkt hat der Paschtune seine Machtbasis erfolgreich ausgebaut. Sein Erfolgsrezept ist es, alle einzukaufen, die ihm seine Position streitig machen könnten. Dabei schreckt er vor zwielichtigen Gestalten nicht zurück: Warlords, Drogenbosse, Kriminelle und Korrupte mischen in der Regierung eifrig mit.
Dubiose Verbündete
Im Juli holte Karzai Abdul Rashid Dostum zurück an die Spitze der Armee. Der berüchtigte "General" gilt als der wohl brutalste "Warlord" Afghanistans. In den letzten 30 Jahren hat er auf fast jeder Seite gekämpft. Und auch Karzais Vize-Kandidat für das Präsidentenamt, Muhammad Qasim Fahim, ist nicht lupenrein: In den ersten Tagen der Nach-Taliban-Regierung soll er gleich Millionen Dollar in afghanischer Währung für sich selbst gedruckt haben. Und bei Karzais Halbbruder Ahmed Wali Karzai wurden kürzlich riesige Mengen an Rohopium gefunden.
Egal, wie die Wahl am 20. August ausgeht: es könnte Ärger geben. Wenn Karzai schon die erste Wahlrunde mit komfortabler Mehrheit für sich entscheidet, würden viele Afghanen annehmen, dass die Ergebnisse manipuliert seien, befürchten manche. Der International Council on Security and Development, ein Think Tank in London, sieht die Lage noch kritischer: "Wenn ein zweiter Wahlgang nötig wird oder wenn die Wähler das deutliche Gefühl haben, dass bei der Wahl betrogen wurde, dann ist die Chance sehr hoch, dass es zu Unruhen kommt."