Der Buchautor Nicolas Baverez im "WZ"-Gespräch.
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"Wiener Zeitung":Hohe Arbeitslosigkeit, hohes Handelsdefizit, niedriges Wirtschaftswachstum: Was ist faul im Staate Frankreich?Baverez: Der Grund dafür, dass es so schlecht läuft, ist, dass sich Frankreich bisher geweigert hat, sich an die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anzupassen.
Was heißt das?
Die Länder Europas haben unterschiedliche Reformen gesetzt. Manche, wie zum Beispiel Österreich, haben ihr Unternehmensrecht reformiert. Andere, wie die skandinavischen Länder, haben die sogenannte Flexicurity eingeführt, die Liberalisierung der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, gemeinsam mit einer Anpassung der staatlichen Fürsorge und Stärkung der Solidarität.
Und Frankreich war untätig?
Hier wurden Reformen nur teilweise durchgeführt. Zwar hat sich ein Teil der französischen Wirtschaft für die Globalisierung geöffnet, gleichzeitig wurde aber ein überdimensionaler öffentlicher Sektor geschaffen, der jenseits aller Grenzen der Wettbewerbsfähigkeit liegt.
In Frankreich scheinen Reformen nicht besonders beliebt zu sein.
Es stimmt schon, dass es in Frankreich besonders schwer ist Reformen durchzusetzen. General Charles de Gaulle hat einmal gesagt: "Frankreich setzt Reformen nur durch, wenn es eine Revolution gibt."
Wie sehen Sie die Kandidaten für das Präsidentenamt aus wirtschaftlicher Sicht?
Also Jean-Marie Le Pen ist die Offenbarung des Verfalls Frankreichs aber sicher keine Lösung. Die extreme Rechte hat ein Programm, das mit der Schließung der Grenzen ausländerfeindlich und protektionistisch ist. Zudem will sie den Euro abschaffen und aus der EU austreten. Sollte dieses Programm tatsächlich in Kraft treten, würde es Frankreich vom relativen zum absoluten Abstieg führen.
Wie steht es um Frau Royal als Versprechen für die Zukunft?
Leider ist sie in die alte wirtschaftliche Ideologie der Sozialisten verfallen. Dazu gehört der systematische Staatsinterventionismus, die Überregulierung des Arbeitsmarktes, gleichzeitig ein Anstieg der öffentlichen Ausgaben von 70 auf 100 Milliarden Euro, was letztlich die ohnedies schon hohe Staatsverschuldung Frankreichs weiter vergrößern würde und zu einer Abwanderung von Produktionsfaktoren führen würde, egal ob das jetzt Unternehmen, Kapital oder Talente sind.
Bleibt nur noch Sarkozy
Ich bin der Meinung, dass er als einziger den erforderlichen Wandel herbeiführen könnte, auch wenn er protektionistische Anwandlungen hat. In seinem Programm findet man Arbeitsinitiativen, Deregulierung, Universitätsreform, Staatsreform, bei der nur mehr jede zweite Beamtenstelle nachbesetzt wird. Und die Abschaffung der 50-prozentigen Einkommenssteuer.
Wie sehr kann man den Versprechen denn glauben? Schließlich hat Sarkozy auch gesagt, dass Liberalismus in der Politik naiv ist.
Frankreich ist ein Land, das traditionell im Sozialen ist und revolutionär in der Politik. Man muss die Bürger beruhigen und ihnen zeigen, dass der Staat funktioniert, um andererseits wirtschaftliche und soziale Reformen durchzusetzen.
Zur Person
Nicolas Baverez ist Rechtsanwalt, Soziologe und Historiker. Der Absolvent der französischen Kaderschmieden École Nationale d'Administration (ENA) und École Normale Superieur ist durch sein Buch "La France qui tombe" (Frankreich im Verfall) bekannt geworden. Er schreibt zudem regelmäßig für das französische Magazin "Le Point".