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"Bei uns gibt es Türken-Bashing"

Von Stefan Beig

Politik
Für Güngör ist der Dualismus Türke/Kurde versus Österreicher kein Zukunftsweg.
© © ©Michael Hetzmannseder

Türkophobie im Spiegel bipolarer Weltbilder - Islam versus Moderne. | Außenpolitik müsse heutige Realitäten ernst nehmen.


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"Wiener Zeitung": Türkischsprachige Matura, türkische Schule, Moschee, EU-Beitritt der Türkei: Warum sorgt das alles in Österreich für solche Aufregung? Ist hier die Türkophobie ausgeprägter als in Deutschland?Kenan Güngör: Leider ja! Dabei ist die türkeistämmige Community in Deutschland mit 2,5 Millionen Menschen die mit Abstand größte ethnische Gruppe. Da würde ich es eher verstehen, wenn dort mehr Spannungen existieren als in Österreich, wo Austrotürken nur drittgrößte Migrantengruppe sind. Laut Rankings ist die Fremdenfeindlichkeit in Österreich größer als in Deutschland. Zur Türkophobie fehlen vergleichende Studien. Deutschland hat aber im Gegensatz zu Österreich keine historischen Reminiszenzen. Die Türkenbelagerung als historisch instrumentalisierbares Narrativ fehlt.

Die Geschichte ist Grund für die heimische Türkophobie?

Es geht nicht nur um Geschichte, sondern um die politische Instrumentalisierung geschichtlicher Narrative. Die Feinde vom Zweiten Weltkrieg sind erfreulicher Weise die Freunde von heute. Umgang mit Geschichte ist selektiv. Das Interesse an Geschichte ist immer den Fragen und Anliegen der Gegenwart geschuldet und sagt viel über diese aus. Wenn bestimmte Themen wie etwa die Türkenbelagerung - auch wenn sie noch so viele Jahrhunderte zurückliegt - immer wieder aktualisiert werden, dann soll sie gegenwärtige Feindbilder historisch unterfüttern. Das Feindbild des "ewigen Türken" wird konstruiert und dient dem abgrenzenden Fremdmachen.

Besonders eine Partei hat historische Klischees aufgegriffen.

Die FPÖ steht hier eher in der austrofaschistischen Linie, die aber über sie hinausreicht. Die Klischees existieren auch im bürgerlichen und sozialdemokratischen Lager. Die Politik bedient, was schon ältere Generationen in der Schule gelernt haben, so wie auch Schulbücher in den USA Deutschland stark auf die Nazi-Zeit reduzieren. Solche politische Strömungen leben davon, dass man sagt: "Es war immer schon so, da ist was Wahres dabei." Das ist das eigentlich Gefährliche!

Der starke Fokus auf Türken ist eine neue Entwicklung der Ausländer-Debatte.

Das hat in den letzten 15 Jahren stark zugenommen. Als die Ausländerfeindlichkeit so pauschal nicht zu rechtfertigen war - schließlich gibt es etwa auch Deutsche -, fand eine zynische Differenzierung statt. Zuerst wurde zwischen kriminellen und nicht-kriminellen Ausländern unterschieden, dann steuerte man auf die Frage zu: Wer ist uns am meisten kulturfremd? Es sind jene, die weder Christen noch Europäer sind. Die Türken sind hier die größte Gruppe. Der 11. September führte schließlich zu einer Kulturalisierung bipolarer Weltbilder - der Islam versus die Moderne.

Verhält sich die türkeistämmige Community in Österreich anders?

In Österreich ist sie viel defensiver, geduckter und versucht, sich stärker zu rechtfertigen. Deutschtürken haben mehr Selbstbewusstsein und stehen stückweit aufrechter. "Was redest Du für einen Schwachsinn", kontern sie. Der Diskurs in Deutschland findet auch nicht so stark von oben nach unten statt.

Er verläuft anders als bei uns?

Verantwortungsbewusstsein und Sorgsamkeit mit der Sprache sind viel größer. Man weiß: Wir können nicht so abwertend über Gruppen reden und glauben, dass das keinen Schaden für die Zukunft dieser Gesellschaft haben wird. In Deutschland besteht ein Konsens: Wir müssen einen Weg zusammenfinden, damit diese Gesellschaft zusammenhalten wird. In Österreich gibt es hingegen ein Türken-Bashing, mal unterschwellig, mal offen und plump.

Spielt die Türkophobie auch in Österreichs Außenpolitik eine Rolle - Stichwort: EU-Beitritt?

Diese außenpolitische Entscheidung war rein innenpolitisch motiviert durch die selbstgezüchtete Stimmung im Land. Ich vermisse in der österreichischen Außenpolitik im Allgemeinen und im Umgang mit der Türkei im Besonderen eine fundierte strategische außenpolitische Vision, gepaart mit entsprechender Tiefe, Intelligenz und Verantwortung. Die Art der Erregung über das Veto der Türkei gegen Ursula Plassnik als OSZE-Generalsekretärin - das ich als nicht richtig, aber im Wissen um die Vorgeschichte als verständlich erachte - zeugte von dieser strategischen Visionslosigkeit, die in personalisierter Gekränktheit und simplen Revanchismus mündete. Dieses nur Beleidigt-Sein und die ansetzende Gehässigkeit schürt aber innenpolitisch nur Animositäten und außenpolitisch widerspricht es den substanziellen wirtschaftlichen Interessen Österreichs. Ich hatte auch das Gefühl, dass man sich unterschwellig darüber echauffierte, wie es ein Land, das man irgendwie als unterlegen und entwicklungsbedürftig wahrnahm, wagen konnte, uns etwas entgegenzuhalten. Das sind Irrationalismen ohne Gespür für gegenwärtige geopolitische Verwerfungen und Machtkonstellationen. Die Außenpolitik muss heutige Realitäten ernst nehmen, ansonsten bleibt sie weltfremd und schädigt sich selbst.

Die Türkei interessiert sich zugleich für Auslandstürken in Europa.

Seit kurzem dürfen die Türkeistämmigen im Ausland wählen. Daher sind sie attraktiver für die Türkei. Da sie ihren Einfluss geltend machen können, geht das Interesse an der Türkei bei der jüngeren Generation nicht zurück. Allerdings galt es in der Türkei früher fast als Vaterlandsverrat, wenn Türkeistämmige eine andere Staatsbürgerschaft annahmen. Das hat sich geändert. Nun sagt die Türkei: Es wäre gut für uns, wenn türkeistämmige Leute sich in Europa integrieren und erfolgreich sind. Denn sie wären unsere Visitenkarte auch für einen Beitritt in die EU. Die türkische Außenpolitik ist heute ambitionierter. Haben sie sich früher als Brückenkopf zwischen Ost und West verstanden, so sehen sie sich jetzt eher als ein geostrategisches Zentrum. In einer Lage, in der sich die ideologiebezogenen Welten zugunsten der Debatte um Kulturen und Sicherheitsfragen verschoben haben.

Was müsste die Politik tun, damit Austrotürken hier ihre Heimat finden?

Viele Türken und Kurden haben eine hohe Wertschätzung für das, was sie hier haben, aber sie sind oft nicht emotional hier beheimatet. Darin sehe ich aber nicht unbedingt das Problem. Wichtiger ist, dass sie einen Bürgersinn entwickeln, Verantwortung übernehmen, sich als Teil dieser Gesellschaft sehen und einbringen. Der Dualismus Türke und Kurde versus Österreicher ist kein Zukunftsweg. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert des Entweder/Oder und hat einen hohen Blutzoll verlangt. Das 21. Jahrhundert muss deshalb - wenn es daraus gelernt hat - das Jahrhundert des Sowohl/Als-auch werden. Das ist das Neue und Spannende. Es eröffnet die Möglichkeit, eigene Identitäten zu hinterfragen, ergänzend zu kombinieren oder sich neu zu definieren.