Die EU will Schadenersatz für Bahngäste bei Verspätungen. Dieser Vorschlag wurde gestern von der Kommission gemacht, er ist im dritten Eisenbahnpaket enthalten. Ähnlich wie im Luftverkehr sollen die Kunden bei Verspätungen ab einer halben Stunde im internationalen Verkehr entschädigt werden. Österreichs Verkehrsstaatssekretär Helmut Kukacka fordert sogar Entschädigung bei defekten Heizungen.
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In Österreich werden Entschädigungen selten bezahlt. Der Fahrgast bekommt im besten Fall einen Gutschein. 85 Prozent der Fernzüge sind pünktlich, verspäten sich also maximal um fünf Minuten. Im Nahverkehr weist die Statistik sogar besseres aus: 90 Prozent der Züge kommen zeitgerecht, im Raum Wien sogar 97 Prozent.
Anders ist es in den Niederlanden. Dort wird sogar im Internet auf den Fahrpreisersatz hingewiesen. Hat ein Zug eine halbe bis eine Stunde Verspätung bekommt der Geschädigte die Hälfte des Fahrpreises zurückerstattet. Ab einer Stunde wird der volle Ticketpreis refundiert.
Die französischen Staatsbahnen SNCF zahlen erst, wenn sich der Zug um mehr als eine halbe Stunde verspätet: 30 Prozent des Preises sollen die Kunden entschädigen. Die italienische Bahn hat ihr Entschädigungsprogramm je nach Zugtype gestaffelt: Bei "Eurostarzügen" ab 25 Minuten das halben Ticket, bei Intercity und Nachtzügen gibt es ab 30 Minuten Wartezeit nur 30 Prozent zurück. Keine Entschädigung bekommt der Kunde, wenn die Verspätung nicht von der Bahn verschuldet wurde wie etwa bei Streiks. Die Deutsche Bahn (DB) vergibt bei ICE-Verspätungen derzeit ab 30 Minuten Reisegutscheine für zehn Euro, ab 90 Minuten für 25 Euro. Ab Oktober sollen Fernreisende der DB bei mehr als 60 Minuten Verspätung 20 Prozent des Fahrpreises rückerstattet bekommen.
Keine generelle Entschädigungsregelung gibt es bei der Schweizer Bahn (SBB), bei der ebenfalls 95 Prozent der Züge pünktlich, also maximal fünf Minuten später ankommen. Die SBB setzt auf individuelle Lösungen und ersetzt Kunden notfalls auch die Taxifahrt, damit dieser zum Beispiel doch noch seinen Flieger erreicht. Außerdem gibt es im Notfall auch Gutscheine für Hotels und bei kleineren Verspätungen Getränkegutscheine oder Bahnschecks.
Bahnen gesprächsbereit
Die europäischen Bahngesellschaften sind zu Kooperation bereit. Sie arbeiten gerade an einem einheitlichen Vorschlag für Entschädigungen, der dann der Kommission vorgelegt werden soll. Diese hat jedoch schon eigene Vorstellungen wie hoch entschädigt werden muss. So sollen Fahrgäste im internationalen Fernverkehr künftig ab einer Verspätung von zwei Stunden den vollen Fahrpreis zurückbekommen. Sind Hochgeschwindigkeitszüge mehr als eine halbe Stunde unpünktlich, dann soll der halbe Fahrpreis gezahlt werden müssen. Fällt eine Verbindung komplett aus, dann wird von den Bahnbetreibern Kooperation verlangt: Sie müssen bei der Suche eines Hotelzimmers behilflich sein oder alternative Routen vorschlagen. Geht das Gepäck verloren, soll dies mit bis zu 1.800 Euro abgegolten werden. Ähnliche Regelungen verlangt EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio auch für den Güterverkehr. Es sei für die Wirtschaft nicht akzeptabel, dass jeder zweite Güterzug um mindestens zwei Stunden zu spät kommt, oder ein Zehntel gar erst nach einem Tag am Ziel auftaucht. Die Verluste durch die Verzögerung von Lieferungen werden pro Jahr auf 41 Mill. Euro geschätzt.
Das Eisenbahnpaket fordert weitere Liberalisierungsschritte bis 2010. Damit die "verkrusteten Strukturen", wie Palacio es nennt, aufbrechen und die Bahn wettbewerbsfähig bleibt. ÖBB-Infrastrukturvorstand Alfred Zimmermann hält den EU-Vorschlag prinzipiell für umsetzbar, vorausgesetzt jemand zahlt dafür. "Wir werden die Entschädigungen in die Kalkulation einbeziehen müssen." Dadurch werde Bahnfahren in Zukunft aber teurer.
Sein Vorschlag: Ein Bonus-Malus-System. Die Entschädigungen dürften eine "verträgliche Bandbreite" nicht überschreiten. Sollten Einrichtungen der Bahn von Dritten beschädigt und damit der Verkehr behindert werden, müssten sich die ÖBB in Zukunft an den Verursachern schadlos halten.