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Bei Wahlen ist Stadt-Land kein Spiel

Von Reinhard Göweil

Politik

Angst vor der Zukunft und vor Fremden sind in Städten geringer - beide beeinflussen das Wahlergebnis.


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Wien/Linz/Graz. Das Wahlergebnis von Wien, aber auch der anderen beiden großen Ballungszentren, Linz und Graz, unterschied sich wieder signifikant vom Rest Österreichs. In den drei größten Städten leben 2,4 Millionen Menschen, davon fast 1,9 Millionen allein in Wien. In allen drei Städten legte die SPÖ deutlich zu, aber auch die Liste Pilz. Auch die Volkspartei konnte schöne Gewinne dort verbuchen, aber von einer deutlich niedrigeren Basis aus. Die Zuwächse der FPÖ dagegen waren nur etwa halb so stark wie im österreichischen Gesamtergebnis (siehe Grafiken).

Das Stadt-Land-Gefälle ist keine neue Erscheinung, tritt aber doch immer stärker in Erscheinung, bei Wahlen, der Bevölkerungsentwicklung oder der wirtschaftlichen Dynamik. Letztere etwa fehlt in den ländlichen Regionen oftmals, was für Raumordnungsexperten wie Heinz Fassmann ein wesentlicher sozioökonomischer Faktor ist. Es gilt, Arbeitsplätze auch in entlegeneren Gebieten zu schaffen, doch dies würde einzelne Bürgermeister schlicht überfordern.

FPÖ-Erfolg im Abwanderungsland Kärnten

"Am Land ist der Zukunftspessimismus größer", sagte Günter Ogris, Chef des Sozialforschungsinstitutes Sora, das auch die Wahlanalysen für den ORF macht. "Die Kinder haben weniger Chancen, was naturgemäß zu Abwanderung führt." Eine Angst-Spirale nach unten sozusagen. Als Beispiel wird Kärnten genannt. Das Bundesland leidet an den Bevölkerungsverlusten, die durch Abwanderung entstehen. Bei der Nationalratswahl konnte sich dort die FPÖ fast verdoppeln, und wurde mit mehr als 33 Prozent stärkste Partei. Wenige Tage vor der Wahl wurde bekannt, dass die Anklage gegen deren früheren Spitzenfunktionär Uwe Scheuch rechtskräftig ist.

"Am Land gibt es auch Ängste, was alles passieren könnte, die es in der Stadt so nicht gibt", sagte Ogris. So steht der innerstädtische Bahnhof "Praterstern" außerhalb Wiens als Synonym für einen gefährlichen Platz - viel stärker als in Wien selbst.

"Die Angst vor Fremden ist dort größer, wo es keine gibt", resümiert Ogris. Die Bewohner von Städten gehen demnach, wenn nicht freundlicher so doch selbstverständlicher, mit einer multikulturellen Umgebung um. Nun kann sich eine Partei wie die SPÖ fragen, warum sie keine Antworten auf derartige "Phantom-Ängsten" hat.

Es gibt aber auch Ängste, die jeden Tag beobachtet werden können, also sehr real sind. Die fehlende ökonomische Entwicklung, eine Ausdünnung der Infrastruktur, und fehlende Bildungsmöglichkeiten beschleunigen den Wegzug von Jungen.

Frauen verdienen am Land noch weniger als Männer

In Wien, Graz und Linz verändert sich allerdings auch das Wahlverhalten der "Binnen-Migranten" aus ländlichen Gebieten, wie aus den Wahlergebnissen sichtbar wird. "Die in den Städten angebotene Ausbildung sowie das höhere Einkommen haben natürlich Auswirkungen auf das persönliche Verhalten von Menschen", weiß Ogris. Besonders deutlich wird das bei Frauen. Der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern ist laut Statistik Austria abseits der Ballungszentren ungleich höher. Im Verein mit den Nachteilen patriarchalischer Strukturen gehen viele junge Frauen in die Städte. "Das christliche Abendland ist nicht wirklich immer attraktiv", sagte ein Soziologe sehr zugespitzt, der dafür anonym bleiben will.

Und mit dem Wegzug junger Frauen gehen dann auch junge Männer.

Der Raumordnungsexperte und Universitätsprofessor Heinz Fassmann plädiert daher schon seit längerem für eine neue Form des budgetären Umgangs mit dem ländlichen Raum. Kindergärten sollten nicht geschlossen werden, wenn eine bestimmte Kinderanzahl unterschritten wird. Dadurch wäre es für Frauen leichter möglich, auch am Land berufstätig zu sein.

Und um die notwendigen Jobs auch anbieten zu können, ist eine gut ausgebaute Verkehrsanbindung (Öffis, aber auch Privat-Pkw) in entlegene Gebiete essenziell. Zur Infrastruktur und Erreichbarkeit gesellt sich der Ausbau des Breitband-Netzes. Der geht, allen Politiker-Reden zum Trotz, außerhalb der großen Städte überaus schleppend voran.

Zuversicht schaffenkostet viel Geld

Die insgesamt dafür benötigten Summen übersteigen die öffentlichen Budgets aber bei Weitem, der Finanzausgleich lenkt zudem Finanzströme auch in andere Bereiche.

Um die Landflucht in den Griff zu bekommen - und wohl auch, um das Wahlverhalten in ländlichen Gebieten zu "de-radikalisieren" - müsste auch hier eine Föderalismusreform eingreifen. Einzelne Gemeinden sind damit von der Aufgabe her überfordert. In Oberösterreich nimmt die Landesregierung zwar Geld in die Hand, um den Breitbandausbau zu beschleunigen, aber andere Bundesländer machen das nicht.

"Wenn es am Land jene Zuversicht gibt, die in den Städten herrscht, dann wird sich zwangsläufig auch das Wahlverhalten dort verändern", sagte Ogris. Am Sonntag gewann mit Sebastian Kurz jener Kandidat, dem die versprochene Veränderung auch geglaubt wird. Am Land noch stärker als in den Städten.

Alle Ergebnisse im Detail finden Sie in unserem Wahlarchiv.