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Der Ball liegt jetzt bei den Sportlern. Der Streit um das Vertriebenenzentrum oder den deutsch-russischen Gasvertrag, alte Ressentiments wegen des Kriegs und neue Ängste wegen der billigen Spargelstecher sind in den Hintergrund gerückt - das deutsch-polnische Verhältnis steht heute, Mittwoch, im Stadion von Dortmund auf dem Fußball-Spiel.
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Nun geht es mir nicht darum, ob die Polen bei der WM mehr Selbstbewusstsein gegenüber den Nachbarn jenseits der Oder-Neiße-Grenze zeigen - wie schon im Vorjahr vom damaligen Präsidentschaftskandidaten Lech Kaczynski im Wahlkampf gefordert. Es geht auch nicht darum, sich für die Polen-Witze zu rächen, die in deutschen Kabarettsendungen wieder aufgewärmt werden. Es geht nicht einmal darum, ob die 22 gegeneinander ordentlicher kicken werden als gegen Costa Rica und Ecuador - was sehr zu wünschen wäre.
Was mich interessiert, ist, wer mehr reißt: die "polnischen" Spieler in der deutschen Mannschaft oder die "deutschen" in der polnischen? Dabei haben die Polen auf jeden Fall einen Vorteil. Geigen Euzebiusz Smolarek oder Jacek Krzynowek auf, sind das selbstverständlich Punkte für Polen - auch wenn die beiden sonst für Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen spielen. Sollten Miroslav Klose und Lukas Podolski Deutschland zum Sieg führen, können sich die Polen immerhin damit trösten, dass die beiden zwar deutsche Staatsbürger, aber gebürtige Polen sind - und so irgendwie auch zu Polens Ehrenrettung beitragen. Denn im Fußball haben die Polen gegen die Deutschen noch nie gewonnen.
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Beide Länder träumen davon, an Erfolge vergangener Jahre anzuknüpfen. Was waren das für Glanzzeiten, als bei der WM 1974 Schützenkönig Grzegorz Lato die Tore schoss und Jan Tomaszewski die Treffer des Gegners verhinderte, als Gerd Müller stürmte und Franz Beckenbauer ihn mit Flanken bediente! Und wie beim Fußball wären auch in der Politik der deutsch-polnischen Verhältnisse wieder Genies gefragt statt unbeholfener Verteidiger, zögerlicher Stürmer und fantasieloser Mittelfeldspieler. Die werden keine Geschichte schreiben, wie der deutsche Kanzler Willi Brandt mit seinem Kniefall vor dem Denkmal zu Ehren der Aufständischen im Warschauer Ghetto im Jahr 1970 oder wie die polnischen Bischöfe, die fünf Jahre zuvor in einem Brief an ihre Amtsbrüder in Deutschland schrieben: "Wir verzeihen und bitten um Verzeihung."
Aus dem Blickwinkel der Historiker haben sich die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland in sechzig Jahren wesentlich gebessert. Auf die Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges folgten Versöhnungsgesten und Entschädigungszahlungen. 1990 hat das wiedervereinigte Deutschland die Oder-Neiße-Grenze anerkannt, 1991 regelte ein Abkommen Themen, die lange Jahre Tabu waren, wie die Minderheitenrechte der deutschen Volksgruppe in Polen. Und auch wenn die national-konservative Regierungskonstellation in Warschau Berlin Unbehagen bereiten mag - der Schaden, den die chauvinistische Propaganda so mancher polnischer Politiker anrichten kann, ist für Polen selbst größer als international.
Sind allerdings nur die letzten Jahre zu betrachten, kann von einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen den beiden Nachbarn kaum die Rede sein. Der Plan des deutschen Bundes der Vertriebenen, in Berlin ein "Zentrum gegen Vertreibungen" errichten zu lassen, das den deutschen Opfern der oft brutalen Zwangsaussiedlungen gewidmet wäre, sorgt in Polen weiter für großen Unmut und zeigt, wie sehr Vergangenheit noch erregt. Der von Deutschland und Russland unterzeichnete Vertrag über eine Gaspipeline unter der Ostsee, die an Polen vorbeiführt, rief in Warschau wütende Proteste hervor. Die polnischen Spargelstecher und Fleischhauer, die in Deutschland billiger als heimische Arbeiter ihre Dienste anbieten, erfreuen zwar die deutsche Wirtschaft, aber nicht die Gewerkschaften.
Dennoch gibt es auch genug Fragen, die Deutsche und Polen einen. Etwa jene: Warum bloß hat Pawel Janas, der Trainer der polnischen Nationalmannschaft, den famosen Torhüter Jerzy Dudek zu Hause gelassen?