In den Gremien der Islamischen Glaubensgemeinschaft entscheidet sich nach der letzten Verhandlungsrunde über das Islamgesetz, ob das Kompromissangebot der Regierung reicht oder eine Protestwelle noch vor Weihnachten anrollt.
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Wien. Die Regierung ist fest entschlossen, das Islamgesetz bis Ende des Jahres zu beschließen. Bleibt sie dem Fahrplan treu, war der Verhandlungsmarathon mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) am Freitagabend wohl die letzte Möglichkeit, den Streit der vergangenen Wochen beizulegen. Die IGGiÖ lehnte den Entwurf bis zuletzt ab. Sie sieht den Islam gegenüber anderen Religionen benachteiligt, weil einerseits die Auslandsfinanzierung von Vereinen untersagt werden soll, andererseits explizit festgehalten wird, dass sich Muslime an Gesetze halten müssen. Darüber hinaus fordern die Muslime mehr Mitsprache, wer Imame an der Universität ausbildet, und sie wollen nicht mit den Aleviten in ein Gesetz "zusammengepfercht" werden. Sprecher von Regierung und IGGiÖ geben sich zugeknöpft. Von einem hochrangigen Verhandler auf muslimischer Seite heißt es zur "Wiener Zeitung": "Es gibt gute Ansätze für einen Kompromiss."
Der Lohn der Imame
In der Frage der Auslandsfinanzierung geht es im Kern um Imame, die in 65 türkischen Atib-Vereinen predigen. Sie werden direkt von der Türkei entsandt und bezahlt. Diesen Einfluss von außen will die Regierung unterbinden, weil sie ihn als integrationsfeindlich erachtet. Die Regierung bot eine Übergangsfrist für das Finanz-Verbot an. Atib will dem Vernehmen nach 15 Jahre, die Regierung nur wenige Monate. Nun sollen zumindest jene Imame weiter aus dem Ausland bezahlt werden dürfen, die einen gültigen Aufenthaltstitel haben, ist aus Verhandlungskreisen zu hören. Damit könnte sich die Übergangsfrist teils deutlich verlängern. Das Gebot der Inlandsfinanzierung würde erst für die neuen Imame gelten. Weiters: Dass sich Muslime an Gesetze zu halten haben, soll nun weniger misstrauisch formuliert sein.
Geheime Beichte
In der Frage, wer künftig Imame an österreichischen Unis ausbildet, könnte die IGGiÖ ebenfalls mehr Mitsprache bekommen - trotz Freiheit der Wissenschaft. Die Verbände befürchten, dass sonst Nicht-Muslime Imame ausbilden dürfen. Im neuen Entwurf soll ein Schweigegebot für Imame - ähnlich dem Beichtgeheimnis - vorgesehen sein, das Kritiker vermissten. Ein Dutzend solcher Präzisierungen sollen vorgenommen worden sein, auch was die Darlegung der Lehre betrifft. Hier fürchteten die Muslime den Zwang zum "Einheitskoran". Das ist angesichts der verschiedenen Strömungen unrealistisch. Stattdessen wird nun auf 20 Seiten - statt im Gesetz von 1912 auf acht Seiten - der Kern der Lehre dargelegt, ergänzt um Frauenrechte und Schutz der Kinder.
Verhandelt hat die Regierung mit dem Obersten Rat der IGGiÖ. Das ist sozusagen der Vorstand. Nun ist der "Aufsichtsrat", der Schurarat, am Zug. In ihm spiegeln sich die Machtverhältnisse der verschiedenen Vereine wider. Mit Atib und der Islamischen Förderation ist der Rat türkisch dominiert.
Frage der Zeit
Der Schurarat begrüßte in einer Sitzung am Sonntag den "Dialog auf Augenhöhe" mit der Regierung und will den überarbeiteten Entwurf nach Übermittlung eingehend prüfen und juristisch bewerten. Das kann dauern. Denn erstens sind nicht alle kompromissbereit und beharren auf eine grundlegende Neufassung. Andererseits gibt es auch innerhalb der IGGiÖ Konflikte.
IGGiÖ-Präsident Fuat Sanac wird nachgesagt, die kritischen Punkte intern über Monate nicht ausreichend kommuniziert zu haben. So erfolgte der Aufschrei der Vereine erst Monate nach Verhandlungsbeginn. Nächstes Jahr sind Wahlen. Das könnte einen gemeinsamen Nenner beim Islamgesetz erschweren, wenn sich interne Positionen verhärten. Gleichzeitig fühlen sich manche wie die Muslimische Jugend (MJÖ) zunehmend unwohl in der IGGiÖ, die von Männern der älteren Generation dominiert wird.
Rote Linien
Einen Alternativvorschlag, um die Weihnachtsruhe zu gewährleisten, macht Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative Muslimischer Österreicher: Das Gesetz verschieben. Für ihn gibt es nach wie vor zumindest zwei rote Linien: das Verbot der Auslandsfinanzierung und das Einheitsgesetz für alle Islam-Richtungen. Ein eigenes Gesetz für Sunniten, Schiiten und Aleviten ist aber unrealistisch.
Bei der Finanzierung zeigt Baghajati ein gewisses Verständnis für die politische Stoßrichtung. Doch beim Islamgesetz gehe es um Religion, nicht um Integrationspolitik. Deswegen sollte das bilateral geregelt werden - mit der Türkei, Saudi-Arabien oder dem Iran. So ist das größte Gebetszentrum der Schiiten in Wien zu 100 Prozent vom Iran finanziert. Außerdem brauche es eine praktikable Lösung für die größte Moschee in Wien Floridsdorf und ihre jährlich sechsstelligen Ausgaben. Sie wird aus Saudi-Arabien finanziert. Allerdings: Einmalzahlungen über österreichische Stiftungen wären auch mit dem neuen Gesetz weiter erlaubt.