Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn": Mit dieser heute nicht mehr standesgemäßen Formel beschrieb US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1933 bis 1945) und ansonsten ein großer Held der verunsicherten liberalen Gegenwart sein kompliziertes Verhältnis zum nicaraguanischen Diktator Anastasio Somoza. Der rüde Spruch gilt als zeitlos gültiges Bonmot dafür, dass in der Politik moralisch-grundsätzliche Prinzipien nur ein Faktor unter anderen sind, die es abzuwägen gilt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil diejenigen, die auf die penible Einhaltung moralischer Prinzipien pochen, meistens andere politische Ziele verfolgen. Dagegen ist nichts zu sagen, zumal es jede Seite so hält, wenn sich die Gelegenheit bietet.
Womit wir bei Ungarn und Rumänien und deren besonderen Umgang mit der EU sind. Sowohl die rechtsnationale Regierung von Premier Viktor Orban wie die linksnationale Regierung von PSD-Parteichef Liviu Dragnea kennen wenig Grenzen, ihre innenpolitische Macht mit permanenten Grenzüberschreitungen auf Kosten der EU und deren Vertreter abzusichern. Das Muster ist so alt wie erfolgreich: Wahlkampf gegen einen externen Widersacher, der zum übermächtigen Gegner hochinszeniert wird.
Allerdings muss offensichtlich die zu verabreichende Dosis an Zumutungen ständig gesteigert werden: Am Montag hat Ungarns Regierung ein Plakat präsentiert, auf dem die Konterfeis von EU-Kommissionschef Juncker und von US-Milliardär Soros prangen - verbunden mit der Botschaft, die beiden betrieben den Untergang Ungarns. Jetzt wurde bekannt, dass die rumänische Justiz auf Betreiben einer regierungsnahen Infoplattform Ermittlungen gegen EU-Kommissionsvize Frans Timmermans, den Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten bei der EU-Wahl, ermittelt - wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Schwer zu sagen, welche Inszenierung grotesker ist.
Orbans Partei ist im EU-Parlament Teil der EVP-Fraktion, Rumäniens PSD Mitglied der EU-Sozialdemokratie. Bei ihren Parteifamilien stößt dieser Umstand zunehmend auf Unbehagen, aber noch nicht genug, um den Balken aus dem eigenen Auge zu ziehen, solange jener der Gegner am Platz bleibt. Wahrscheinlich ist deshalb: Entweder sie fliegen gemeinsam aus ihren EU-Fraktionen oder keiner von beiden. Warum das so ist, das hat eingangs Roosevelt in eigenen Worten unverblümt erklärt.
Bei aller Empörung über die ungenierte Machtpolitik: Die EU sollte hier nur den Wächter der letzten Instanz geben. Niemand kann und soll den Bürgern in Ungarn und Rumänien die Verantwortung für die Einhaltung von Mindeststandards bei politischer Zumutungen abnehmen.