Zulehner rät Kardinal Schönborn und Pfarrer Schüller, einzelne Punkte zu verhandeln.
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"Wiener Zeitung":Die Auseinandersetzung zwischen dem Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn und der Pfarrer-Initiative mit Helmut Schüller an der Spitze geht sehr tief. Ein Scheitern der Gespräche könnte beide Parteien und damit die österreichische katholische Kirche insgesamt zu Verlierern machen. Ist ein Kompromiss möglich?
Paul M. Zulehner: Es wäre hilfreich, wenn die Kirchenleitung auf die Inhalte schaut, für die sich die Pfarrer-Initiative stark macht.
Die Pfarrer-Initiative will wiederverheirateten Geschiedenen, Gläubigen anderer christlicher Kirchen und fallweise auch Ausgetretenen die Eucharistie reichen; sie zieht Wortgottesdienste den reisenden Priestern vor; sie will Wortgottesdienste als priesterlose Eucharistiefeier anerkennen; das Predigtverbot für Laien missachten; sie will dafür sorgen, dass jede Pfarre einen eigenen Vorsteher hat - Mann oder Frau; und sie will sich für die Zulassung von Frauen und Verheirateten zum Priesteramt einsetzen. All diese Forderungen stehen im Widerspruch zu Rom.
Im Fall der wiederverheirateten Geschiedenen gibt es seit 1980 - also noch aus der Zeit von Franz Kardinal König - eine offiziöse pastorale Entwicklung, die in diese Richtung geht. Im Hirtenwort von 1980 wurde festgehalten, dass es für wiederverheiratete Geschiedene zwar grundsätzlich keine Zulassung zu den Sakramenten gibt, dass aber ein erfahrener Seelsorger zusammen mit den Betroffenen eine Einzellösung finden kann. In etwa 80 bis 90 Prozent der Gemeinden wird das so gehandhabt. Bereits 1963 hat Kardinal König dem Konzil geraten, in Richtung Ostkirche zu gehen, wo selbst eine zweite kirchliche Heirat - genannt Krönung - möglich ist, in wenigen Fällen sogar eine dritte. Ich denke, wenn aus Schuld und Tragik etwas scheitert, soll der Mensch nicht ein ganzes Leben lang an das Scheitern gebunden sein. Solche Zweitehen kennen auch mit der katholischen Kirche unierte Kirchen, worauf Professor Primetshofer unlängst hingewiesen hat. Im großen Haus der katholischen Kirche gibt es zu dieser Teilfrage also längst jene "Lösungen", welche die Pfarrer-Initiative praktizieren will.
Der zweite wesentliche Kritikpunkt ist der Umgang mit Laien. Sie sollen Gemeinden leiten dürfen und mehr Rechte erhalten. Könnte das nicht umgesetzt werden?
Das läuft ja schon. Auch der Kardinal weiß, dass er Laien braucht, und er denkt intensiv über diese Frage nach. Die Lösung des Gesamt-Konflikts sollte also in Schritten erfolgen. Es gibt Forderungen, die sind leicht lösbar - wie die Eucharistie für wiederverheiratete Geschiedene. Es gibt Fragen, die sind sehr leicht lösbar - wie die Aufwertung der Laien, die ja das Konzil längst beschlossen hat. Und es gibt Fragen, die sind ganz schwierig zu lösen - wie das Priesteramt für Frauen und - leider wieder weit einfacher - für verheiratete Männer: Denn auch solche gibt es selbst in der katholischen Kirche, wenn ein evangelischer Pastor etwa katholisch und zum Priester ordiniert wird.
Es gibt die "Laieninitiative", die Plattform "Wir sind Kirche", "Priester ohne Amt" und etliche andere Protestinitiativen. Was unterscheidet die Pfarrer-Initiative von den genannten?
Es gibt einen entscheidenden Wandel. Die Pfarrer-Initiative bleibt nicht in verbalen Forderungen stecken, sondern setzt diese um. Das ist eine neue Qualität des Protests, damit zugleich eine neue Qualität an Chance. Dieser Akt der 300 Priester hat ein anderes Gewicht als das Kirchenvolksbegehren, das 500.000 Menschen unterzeichnet haben. Und die Kirchenleitung scheint diesen Protest auch sehr ernst zu nehmen. Schließlich handelt es sich hier nicht um Außenseiter, sondern um Menschen mit einem hohen Ruf als Seelsorger, die das Ohr am alltäglichen Leiden und Leben der Leute haben. Der Kardinal hat nun die Chance, diesen Aufschrei in eine positive Kirchenentwicklung zu kanalisieren. Die beiden Streitparteien sollten das Paket aufschnüren und überlegen, welche Punkte erfolgreich gelöst werden können. Denn nur wenn beide Seiten einen Erfolg verzeichnen, kommt es nicht zum Crash.
Können Sie beurteilen, wie die Gemeinden diese Auseinandersetzung sehen und auf welcher Seite die Mehrheit des Kirchenvolks steht?
Die Debatte in der Kirche ist in allen Fragen polarisiert. Aus der Pfarrgemeindestudie 2009 wissen wir, dass in den Gemeinden eine große Offenheit gegenüber einer zeitgemäßen Pastoral besteht. Im Übrigen ist der Raum der Ortskirchen groß, in diesem haben sowohl die Vatikanische Liturgie (vom Zweiten Vatikanischen Konzil 1962-1965 erneuert) als auch die Tridentinische Liturgie (vom Konzil zu Trient 1545-1563 erlassen) Platz.
Sollte sich der Kardinal mit den Pfarrern auf etwas einigen, müsste das nicht mit Rom abgeklärt werden?
Die Ortsbischöfe sind nicht die Prokuristen des Vatikans. Der Kardinal ist von der Theologie des Bischofsamtes her geradezu verpflichtet, die Anliegen seiner Ortskirche nach Rom zu tragen. In der Frage der Wiederverheirateten macht er das mit seinen bischöflichen Amtsbrüdern gerade. In der Bischofskonferenz von Mariazell ist dem Vernehmen nach dazu ein Papier entstanden, das zurzeit zur Prüfung in Rom liegt. Es wäre interessant, wenn der Kardinal diesen Prozess transparenter machen würde, damit man weiß, was unsere guten Bischöfe in geheimer Diplomatie über die Köpfe der Menschen hinweg mit Rom aushandeln.
Gibt es ein Prozedere zur Lösung des Konflikts?
Derzeit gibt es immer wieder Gespräche zwischen Pfarrer-Initiative und Diözese. Kardinal Schönborn ist bekannt für seine diplomatische Klugheit, ich glaube daher nicht, dass er einen pastoralen Crashkurs ansteuert. Im Übrigen befindet er sich in einer unangenehmen Sandwich-Position zwischen dem reformskeptischen Vatikan und den unaufgeregten Reformern. Das war aber auch Bischof Weber in den Zeiten des Dialogs für Österreich nicht anders ergangen.
Können Sie die österreichische katholische Kirche im Spektrum der Weltkirche einordnen? Steht sie eher links oder rechts?
Ich erinnere hier an das Wort von Bischof Egon Kapellari, der gemeint hatte, wir müssten die Mitte der Kirche stärken. Da hat er mehr als Recht. Die Kunst der österreichischen Kirche besteht zu allen Zeiten darin, eine Kirche der offenen Mitte, damit auch der ständigen bedachten Weiterentwicklung zu sein. Offen meint den ständigen Versuch, den heutigen Menschen das anvertraute Evangelium zu bringen. Die Kunst besteht darin, mit dem Augenmaß Jesu zwischen Gott und den Menschen zu vermitteln. Dieses pastorale "Kreuz" ist auszuhalten. Die Versuchung, auf die eine oder andere Seite vom Kreuz herabzusteigen ist immer da: in erbarmungslose Ordnung oder liberale Beliebigkeit. Das Beste für die Kirche ist die "Pastoral Gottes", also die "Pastoral des Erbarmens" und nicht des Stab-Brechens über Menschen, die aus einem unentflechtbaren Gemenge an Schuld und Tragik in ihren Lebensplänen gescheitert sind. Eine solche Pastoral hat immer Jesus auf ihrer Seite; ihretwegen haben ihn die religiösen Führer seiner Zeit ans Kreuz gebracht.