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Beim AMS wird Türkisch gelernt

Von Yordanka Weiss

Politik

Fremdsprachenkurse sollen Berührungsängste der Mitarbeiter abbauen. | Ein "Merhaba" schafft eine angenehmere Atmosphäre. | Wien. Deutsch, Beamtendeutsch, Wienerisch, Türkisch, Serbisch, Englisch - viele Sprachen treffen in den Servicestellen des Arbeitsmarktservices aufeinander. Zwei Hauptakteure haben sich in diesem babylonischen Zustand zurechtzufinden: die Berater und die Arbeitssuchenden. Um die Kompetenz der eigenen Mitarbeiter zu erhöhen und deren Arbeit zu erleichtern, organisiert und finanziert das Arbeitsmarktsservice (AMS) Österreich seit einigen Jahren Fremdsprachenkurse.


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"Derzeit werden Englisch, Türkisch und Gebärdensprache angeboten", so Sebastian Paulick von AMS Wien. Das AMS in der Bundeshauptstadt hat insgesamt circa 900 Berater. Im Jahre 2010 haben 100 Englisch gelernt, 30 Türkisch und 20 die Gebärdensprache.

"Die Sprache allein reicht nicht. Zwei Punkte sind für die Kommunikation und vor allem für die Verständigung wichtig: die gemeinsame Sprache und die interkulturelle Kompetenz", so Mira Radeva. Die erste Begegnung mit dem AMS war für sie haarsträubend. "Die Beraterin hat Sofia mit Bukarest verwechselt und meine Ausbildung statt Philologie als Philosophie bezeichnet. Ich habe sie aufmerksam gemacht und musste dann erklären was Philologie bedeutet", so die Bulgarin. Für sie sei entscheidend, dass die Berater neben sprachlicher auch eine interkulturelle und soziale Kompetenz besitzen und diese mit einer gesunden Dosis Empathie paaren. "Dann kann in der kurzen Zeit, die für ein Kundengespräch vorgesehen ist, die erfolgversprechendste Strategie für die Jobsuche geschmiedet werden."

Eine Erhebung, wie viele Mitarbeiter mit ausländischen Wurzeln beim AMS derzeit beschäftigt sind, gibt es nicht. Bei Neuaufnahmen wird aber "seit zwei Jahren großes Augenmerk darauf gelegt, dass mindestens zehn Prozent der neuen Mitarbeiter Migrationshintergrund haben", so Paulick. Das sei wichtig, damit man kulturell so "breit" wie möglich aufgestellt sei.

Die Beratungsgespräche finden allerdings auf Deutsch statt. Das sei auch sinnvoll - denn "jemand, der kein Wort Deutsch spricht, kann (fast) nicht vermittelt werden". Jedoch finden sich aber immer wieder Stellen, die keine Deutschkenntnisse voraussetzen, zum Beispiel Lagerarbeiter bei einem türkischen Unternehmer.

So gut wie alle "Produktblätter" - das heißt die Informationen über die rechtlichen Möglichkeiten und über Förderungen - werden neben Deutsch auch auf Türkisch, Bosnisch, Serbisch und Kroatisch angeboten. Dasselbe gilt für Ausfüllhilfen von Formularen. Ansonsten orientiert sich das AMS daran, was praxisnahe ist: Beispielsweise hat man die Infoblätter über die Übergangsbestimmungen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedsländern in den Sprachen aller betroffenen Staaten aufgelegt. Das AMS ist davon überzeugt, dass sich diese Strategie bewährt und den Kunden verhilft, die Möglichkeiten des Arbeitsmarkts voll auszuschöpfen.

Bei der Anerkennung ausländischer Ausbildungsabschlüsse kooperiert man in Wien mit zwei Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, die sich darauf spezialisiert haben: das Beratungszentrum für Migrantinnen und Migranten und das Beratungszentrum für ausländische Frauen. Es darf also nicht daran scheitern, dass ein Abschluss in Österreich nicht anerkannt wurde.

"Die Anerkennung allein hat mir nichts gebracht. Der Ruf der Universitäten hinter dem Eisernen Vorhang ist immer noch schlecht", so Radeva. Nach Hunderten Bewerbungen und genau so vielen Absagen hat sie bei Personalisten nach dem Grund gefragt. Man hat ihr nahegelegt, trotz Universitätsabschluss sich in Österreich weiterbilden zu lassen: "Wenn man mir diesen Rat vor Jahren beim AMS gegeben hätte, könnte ich mir die erniedrigenden Verkäuferinnenjobs ersparen."

Schmerzhafte Erlebnisse

Die Bulgarin wünscht sich eine Stelle, wo man ausländische Akademiker berät: "So wäre mein Wissen nicht inflationär geworden und meine Positionierung am Arbeitsmarkt nicht schmerzhaft. Ich weiß nicht, ob ich einen Job oder einen Psychiater brauche."

Das Angebot, Türkisch zu lernen, nahm Michael Haas vom AMS im Jahre 2010 wahr. Er hat von März bis Juni einmal die Woche den Kurs besucht. Die Motivation war, mit "den zahlreichen Kunden, die sehr schlecht Deutsch sprechen", besser zu kommunizieren, um ihnen "mindestens den Deutschkurs vermitteln zu können". Mit dem Erlernen der Sprache hat Haas erste Einblicke in die Lebenswelt der Türken bekommen und "Berührungsängste abgebaut".

Privat hat der Österreicher noch keine türkischen Freunde gefunden, wurde aber Multiplikator für das neuerworbene Wissen: "Meine Familie hat beim Kurs fast mitgemacht." Und wie verständigt man sich mit den Jobsuchenden, die kein Deutsch sprechen? Laut Haas sorgen diese selber für einen Dolmetscher: Familienangehörige oder Einheimische, die man erst im AMS-Warteraum kennengelernt hat. Mit Japanern oder Skandinaviern kann man sich gut auf Englisch verstehen, mit Personen aus dem Iran, Afghanistan oder der Ex-UdSSR ist dies kaum möglich. Da ist Lösungsorientiertheit des Beraters und des Kunden gefragt.

"Merhaba (auf Deutsch "Guten Tag") schafft eine angenehmere Gesprächsatmosphäre. Für mich ist aber die Nutzung jeder Sprache außer Hochdeutsch beim AMS kontraproduktiv", so Aysun Koc. Die gebürtige Türkin spricht gut Deutsch, hat aber mit zwei Schwierigkeiten zu kämpfen. Zum einen hat sie sich noch nicht die Fachtermini angeeignet und versteht das Beamtendeutsch nicht gut. Zum anderen hat man mit ihr "Wienerisch" gesprochen, was die Kommunikation erschwerte. "Damit die Jobsuche erfolgversprechend gestaltet werden kann, müssen sich sowohl Jobsuchende als auch AMS Berater bemühen", so Koc. Und man müsse nicht erwarten, dass Migranten ihre Lebensweltumstellung im Schnellverfahren absolvieren.