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In der Brexit-Debatte wurde die Argumentation der wirtschaftlichen Vorteile der EU immer hochgespielt. Die Durchschnittsbürger in der EU jedoch bewegten Fragen und Themen mehr als die bescheidenen Löhne, mit denen immer wieder argumentierte wurde. Was bestimmt das sozial-emotionale Klima mehr: das Sozial -oder das Finanzkapital? Das kollektive Unterbewusstsein bestimmte das Votum für den Austritt. Dabei spielten Sorgen um die Unabhängigkeit, die Heimatverbundenheit, die Angst vor der Entfremdung und vor allem die Fehleinschätzung der bestimmenden Politiker in der Brüssler Zentrale und anderswo eine Rolle. Zu viel juristische und betriebswirtschaftlich Hardware und zu wenig Achten auf die Softskills, die auf das Feingefühl der Menschen in den Mitgliedsländern eingehen, waren nicht unwesentliche Faktoren beim Brexit.
Eines hat sich in den herbeigeredeten Vereinigten Staaten von Europa herumgesprochen und in der sozialwirtschaftlichen Praxis bereits gezeigt: Die wahren Profiteure der EU sind nur die Reichen und die internationalen Konzerne. Die einfachen Bürger bekommen bloß die Krümel ab und fallen vom Subventionsgabentisch. Mit aufgestauter Wut über den bürokratischen Circus Maximus in Brüssel, wo Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen wurden, schnappte die oft zitierte Schere zwischen Arm und Reich wirkungsvoll zu.
Kluft zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung
Im Zeitalter der global vernetzten Kommunikation können Welt- und Wertbilder nicht mehr mit abgehobenen Werbekampagnen in die Köpfe der Bürger hineingehämmert werden. Soziale Netzwerke und Apps lassen eine neue Kommunikationskultur entstehen, die alternative Perspektiven und Werthaltungen in breiten Kreisen der Bevölkerung nach sich zieht.
Parallel zur Schere zwischen Arm und Reich gibt es eine Schere zwischen zwei Kommunikationskulturen, die eine Gleichschaltung immer schwieriger oder gar unmöglich machen. Die Auswirkungen gehen gerade in Richtung direkte Demokratie, die ja immer wieder herbeigeredet, aber in der politische Praxis noch nicht ausreichend umgesetzt wurde. Gerade das ist auch die Krux mit dem Brexit: Die Kluft zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung schafft Misstrauen und baut die Aversion gegen "Die da oben" (Politiker) zunehmend auf. Die Sehnsucht nach überschaubaren familiären kleinen Gruppen wird größer. Wo vertrauen und identifizierbare Werthaltungen bestimmend sind und man sich sicher fühlt, dort ist die Heimat, deren Schutz man vom Staat und von der EU erwartet.
Neue Ära in Bezug auf das Verständnis von Gemeinschaft
Wir befinden uns - ob wir wollen oder nicht - auf einem langen und vorbestimmten Weg in eine neue Ära in Bezug auf das Verständnis, was Gemeinschaft für die Menschen aller Ethnien bedeutet. Ein Blick in die kürzere und längere Geschichte zeigt, dass alle Großreiche diesen Zeitpunkt als Auslaufmodelle erlebt haben. Waren es damals heldenhaft Führer, die sich auch nicht sehr um die Leiden der Bevölkerung gekümmert haben, sind es heute die profitorientierten und steuerschonenden Großkonzerne, die über ihre Lobbyisten in Brüssel ihre Geschäfte machen.
Die Menschen in den Reformprozess der EU direkt und mithilfe sozialer Medien verstärkt einbeziehen, wäre eines der Rezepte, um aus dem Diaspora-Dilemma herauszukommen. Andernfalls gibt es einen befürchteten Dominoeffekt mit EU-Austritten weiterer Länder, den wir ja auch nicht wollen.