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Beim Glücksspiel verloren

Von Simon Rosner

Politik

Interventionen verhinderten 2006 eine Novelle, mit der die Lotterien ihr Monopol verloren hätten.


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Wien. Am 12. Juli 2006 war Friedrich Stickler auf dem Weg zum Wiener Flughafen, er hatte einen Geschäftstermin in Helsinki. Dann klingelte das Telefon - und der Vorstandsdirektor der Lotterien sagte den Flug ab.

Leo Wallner, damals Chef der Casinos Austria und damit auch von Stickler, informierte diesen über das, was er selbst erst am Abend davor erfahren hatte: Die Regierung plane für den 13. Juli eine Novelle zum Thema Glücksspiel im Internet. Was diese bedeutet hätte, erläuterte Stickler so: "Sie hätte das Glücksspiel-Monopol in die Luft gesprengt." Hätte, denn sie kam nicht.

Am Donnerstag war Stickler Zeuge im Prozess gegen Peter Westenthaler, der in zwei Angelegenheiten angeklagt ist, in diesem Fall wegen Untreue. Nur wenige Monate nach dem Anruf auf dem Weg nach Schwechat überwiesen nämlich die Lotterien 300.000 Euro an die Werbeagentur Orange, eine Gesellschaft des BZÖ, dessen Parteichef Westenthaler zu jener Zeit war. Auf der Rechnung waren "Beratungsleistungen" vermerkt, heute jedoch sagt Stickler: "So weit ich das beurteilen kann, gibt es keinen Nachweis einer Leistung." Ein dünnes Gutachten über "Responsible Gaming" des BZÖ-Mitarbeiters Kurt Lukasek, das dieser selbst nur als "Standpunkt" bezeichnete, rechtfertigt diesen Betrag nicht.

Wallner nicht prozessfähig

In dem Verfahren ist auch Wallner angeklagt, von ihm kam die Anweisung, den Betrag an Orange zu überweisen. Doch der ehemalige Casinos-Chef ist gesundheitlich nicht in der Lage, an dem Prozess teilzunehmen, und es ist fraglich, ob der mittlerweile 79-Jährige wieder verhandlungsfähig wird. Daher kann er auch nicht erklären, warum er diese Zahlung anwies. Westenthaler bestreitet jedenfalls, dass sie mit den Vorgängen rund um diesen 12. Juli zu tun hat, wie das von Staatsanwältin Barbara Schreiber insinuiert wird. Er habe auch nichts mit dem Finanziellen zu tun gehabt, das hatte er auch mit Jörg Haider schriftlich vereinbart.

Doch was passierte im Parlament? Peter Erlacher war damals Beamter im Finanzministerium und erhielt im Juli von einem mittlerweile verstorbenen Kollegen aus dem Ministerium einen Entwurf einer Novelle, und zwar jener Novelle, die laut Stickler das Monopol "gesprengt" hätte. Erlacher war für das Glücksspiel zuständig und sollte sich zum Gesetzestext äußern. Da es sich um ein "großes Abgehen vom System" handelte, empfahl er ein Begutachtungsverfahren. Das aber war nicht erwünscht, ebenso sollten keine Information an Lotterien und Casinos gehen. "Ich war dann auch nicht mehr so erwünscht."

Dass Wallner dann doch noch vom Vorhaben der Regierung erfuhr, dürfte einem Zufall entsprungen sein. Westenthaler vermutet, dass Wallners Sohn, der damals für die ÖVP arbeitete, davon Kenntnis bekam und den Casinos-Chef informierte. Fast panisch versuchten Wallner und Stickler jedenfalls, politische Überzeugungsarbeit zu leisten. Offenbar drängte Novomatic gemeinsam mit der Telekom auf dieses Gesetz, sie hätten profitiert.

ÖVP-Klub kippte das Vorhaben

"Ich habe zwei Akkus austelefoniert", sagte Stickler. Sein erster Anruf galt Westenthaler, den kannte er als ÖFB-Chef von dessen Zeit bei der Liga. Und der sagte wörtlich: "Die Kugel ist aus dem Lauf." Und Westenthaler ergänzte vor Gericht: "Mit einer gewissen Freude." Er sei immer für das Ende des Monopols gewesen.

Stickler telefonierte weiter. "Auch die Abgeordneten haben sich unglaublich darüber aufgeregt", erzählte er, darunter der nunmehrige Zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf. "Ich glaube, dass der Widerstand im ÖVP-Klub dann so groß wurde, dass sie aus der Initiative ausstiegen", sagte Stickler. Zwar habe sich tags darauf Klubchef Wilhelm Molterer über die Interventionen beschwert, doch die für die Lotterien "existenzbedrohende" (Stickler) Novelle war vom Tisch.

Ein U-Ausschuss unter anderem zu diesem Thema hatte ebenfalls die ÖVP als jene Partei identifiziert, an der das Gesetz am Ende scheiterte, auch Stickler bestätigte dies. Doch warum gab Westenthaler nur kurze Zeit später den Auftrag an Lukasek, rasch ein Gutachten zu erstellen? Warum wurde die Rechnung mit 24. Juli datiert und warum kamen die 300.000 Euro erst im Oktober, nach der Wahl? Diese Fragen sind offen. Am 4. Dezember wird der Prozess fortgesetzt.