Dass der regulierungswütige Staat ausgerechnet die Gesundheit von Kindern zur Privatsache der Eltern erklärt, ist bizarr.
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Wenn es darum geht, die Bürger vor sich selbst zu beschützen, kennt der Staat gemeinhin kein Pardon. Die Liste der Verbote und Gebote, mit denen er uns drängt, jenes Leben zu führen, das er für richtig hält, wird länger und länger. Längst gibt er sich nicht mehr damit zufrieden, uns Sicherheitsgurte und Energiesparleuchten aufzuzwingen oder Zigarrenclubs zu verbieten, künftig will er auch so elementare Dinge wie das Gewicht von Models reglementieren. Dafür war es ja auch wirklich schon höchste Zeit.
Umso erstaunlicher und befremdlicher ist, dass der grundvernünftige Vorschlag des Wiener Arztes und ÖVP-Politikers Werner Rasinger, die Masernimpfung von Kindern obligatorisch zu machen, von einer breiten Mehrheit im Nationalrat zurückgewiesen wurde. Ob Kinder gegen diese Krankheit immunisiert werden sollen oder nicht, sei Privatsache der Eltern, wurde unisono argumentiert.
Das hat etwas Bizarres: Während jede Menge bürgerlicher Freiheitsrechte niedergewalzt werden, ohne dass der Gesetzgeber die Privatsachen seiner Untertanen respektiert, wird dieses Argument ausgerechnet dort vorgebracht, wo es am wenigsten zu suchen hat. Das Lebendgewicht eines Models darf nicht Privatsache sein und gehört gesetzlich geregelt - aber das Auslösen einer Masernepidemie durch ein fahrlässig ungeimpftes Kind schon und bedarf keiner gesetzlichen Regelung? Noch abstruser geht’s ja kaum noch. Zu regulieren, was keiner Regulierung bedarf, aber nicht zu regulieren, was ganz ausnahmsweise sehr wohl reguliert gehört, ist glattes Staatsversagen.
Dass es wünschenswert wäre, alle Kinder gegen Masern zu impfen und diese schwere Krankheit solcherart (fast) auszurotten, ist unter seriösen Experten unumstritten. Ebenso, dass sehr vereinzelt vorkommende Komplikationen in keinem Verhältnis zu den Risiken nicht geimpfter Kinder stehen. Der Fall ist ganz klar, außer für ein paar Impfgegner, die gegen alle Fakten resistent sind.
Das Argument, es sei das Recht der Eltern, die Entscheidung pieksen oder nicht pieksen zu treffen, greift aus zwei Gründen nicht: Erstens hat das Recht der Eltern, über ihr Kind zu verfügen, dort zu enden, wo Leib und Leben des Kindes in Gefahr sind - deshalb ist es ja auch nicht Privatsache der Eltern, ob ein Zweijähriger eine Flasche Wodka trinken darf oder aus religiösen Gründen eine Woche hungern muss. Das Verweigern einer möglicherweise lebensrettenden Impfung ist auch nichts anderes und daher nicht "Privatsache der Eltern". Zweitens gefährden Eltern mit dem Verweigern der Masernimpfung nicht nur die Gesundheit der eigenen Kinder, sondern auch die fremder Kinder, weil deren Ansteckungsrisiko umso mehr steigt, je mehr Kinder ungeimpft sind. Auch hier gilt: Das Leben Dritter zu gefährden ist eben nicht Privatsache.
Der Vorschlag, statt einer Impfpflicht den Bezug staatlicher Leistungen - etwa der Kinderbeihilfe - an einen Impfnachweis zu knüpfen, ist nur scheinbar eine gute Idee. Denn den Impfzwang für all jene aufzuheben, die sich das finanziell leisten können, erscheint nicht wirklich konsequent. Wo es ausnahmsweise einmal wirklich Regulierungsbedarf gibt, darf sich gerade ein manisch regulierungswütiger Staat nicht hinter jener Privatsphäre verstecken, die er sonst ungerührt missachtet.