Dass Flüchtlinge in gefängnisartigen Unterkünften auf ihr weiteres Schicksal warten, weiß man spätestens seit Woomera in Australien, mittlerweile geschlossenes gefängnisartiges Flüchtlingslager. Ähnliche Orte existieren auch in Europa.
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Flüchtlinge, die einen Ausreisebescheid erhalten, landen auch in Österreich und anderen europäischen Ländern in Schubhaft. In Italien gibt es seit 1998 die sogenannten Centri di permanenza temporanea (Temporäre Aufenthaltszentren, in der Folge CPT). Theoretisch verbleiben abzuschiebende Flüchtlinge bis zu 60 Tagen in diesen Zentren. In dieser Zeit wird ihre Rückkehr organisiert.
17 solcher Zentren gibt es in ganz Italien. Im Schnitt werden lediglich 15 Prozent der Insassen auch tatsächlich abgeschoben, die Mehrzahl wird wieder freigelassen, viele landen mehrmals in diesen Zentren. Neben diesen 17 CPTs gibt es weitere 23 Aufnahme-, Transit- und Asylwerberheime.
In den vergangenen Wochen hat eine Gruppe des italienischen Social Forum (die zentrale lose Vereinigung der italienischen Globalisierungsgegner, die sich jedoch auf eine breitere, wenn man so will bürgerliche Basis stützt als im Norden Europas) zwei dieser Zentren am Südrand Italiens, Lampedusa und Agrigento, unter die Lupe genommen.
Mahnwache gestört
Die kleine Insel Lampedusa, näher an Afrika als an Europa gelegen, hat in den vergangenen Jahren traurige Berühmtheit als Ziel von Flüchtlingsschiffen bekommen. Einer der Aktionen des Social Forum war eine Mahnwache für die vielen Flüchtlingen, die ihr Ziel nie erreichen. Am Rande des Dorfplatzes betrachteten Urlauber und Bewohner der Insel neugierig die Fotos vom letzten Sommer, als fast täglich prekäre Holzkähne die Insel erreichten. Ein Band mit Namen und Schicksalen verstorbener Flüchtlinge versehen, wurde aufmerksam gelesen. Einige sind hier begraben. Gräber ohne Namen, nur Datum und Ort des Begräbnisses.
"Bleibt besser zuhause, und kümmert Euch dort um Eure Probleme", schrie plötzlich mit großer Geste eine Insulanerin. Wortgefechte folgten, die Gesten wurden bedrohlicher. Die Aktivisten des Social Forum zogen sich zurück. "Wenn es unser Ziel war, eine Reaktion zu provozieren, so haben wir das wohl erreicht, es wäre nur schön, wenn sich all das auf zivile Weise austragen ließe", so Alessandro Geda, aus Turin.
Wenig später wurde Alessandro von aufgebrachten Insulanern aus dem Auto gezerrt, als er es endlich schaffte loszufahren, zertrümmerte der Tourismusfunktionär der Insel das Seitenfenster des Autos. Zur Handvoll aufgebrachter Insulaner gesellten sich auch einige Mitglieder der Lega Nord (die massive politische Interessen auf der Insel zu haben scheint), die hier Urlaub machen, bzw. Ferienhäuser besitzen.
Neues Lager geplant
Die Flüchtlinge, die die Insel erreichen, werden in einer Anlage neben dem Flughafen erstversorgt, und dann weitertransportiert. Eine Delegation des Social Forum fand jedoch 96 Insassen vor, die bereits seit drei Wochen im Zentrum waren: 14 Liberianer, die noch immer nicht um Asyl ansuchen konnten, 84 Maghrebiner, denen ziemlich sicher die Abschiebung droht. Das Zentrum, offiziell ein CPT, wird also in der Tat zunehmend zu einem Ort in dem Flüchtlinge gefängnisartig verwahrt werden, ohne dass ihre Rechte garantiert werden.
Ein neues Zentrum für ca. 400 Insassen ist im Zentrum der Insel geplant. Der Baubeginn soll offiziell noch im August erfolgen. Die Konstruktion ist umstritten: Das vorgesehene Terrain ist eines der wenigen fruchtbaren Landstriche der Insel, auch archälogische Fundstücke werden vermutet. Aufgrund der Lage der Insel wäre hier eine ordnungsgemässe Verwahrung der Flüchtlinge vermutlich nicht gewährleistet. Schon jetzt haben sich einige Angaben des Leiters der Einrichtung, Claudio Scalia als falsch erwiesen.
Scalia leitet für die Brüderschaft Misericordia das Zentrum, als die Delegation des Social Forum die Einrichtung besuchte, untersagte er ihnen jegliche Konversation mit den Insaßen. Informationsblätter, die ihm zufolge die Insaßen über ihre Rechte aufklären, listeten lediglich deren Pflichten auf. Die Misericordia hat zudem ein offensichtliches Interesse an einem großen Zentrum auf der Insel.
Der Ort, an den die Mehrzahl der Flüchtlinge, die Lampedusa erreichen, transportiert werden, ist Agrigento (vom Hafen Agrigentos, Porto Empedocle fahren die Fähren Richtung Lampedusa los). Die Aktionsgruppe des Social Forums, machte auch hier halt.
Griechische Tempel und CPT
Agrigento im Südwesten Siziliens ist berühmt für seine griechischen Tempel, besser erhalten als die Originale in Griechenland. Die pittoreske Altstadt liegt auf einem Hügel, umgeben von einer Skyline aus Schwarzbauten, hoch aufragende Wohnhäuser, autobahnartige Strassen, die zuweilen ins Nichts führen. Ca. 20 Autominuten vom Zentrum entfernt, beginnt das futuristisch anmutende Industriegebiet Agrigentos. Auch hier dominieren Schwarzbauten (Agrigento ist neben den griechischen Tempeln auch dafür berühmt).
Einer der Fabriken aus Beton ist komplett mit hohen Maürn und Stacheldraht umgeben. Seit wenigen Jahren dient es als Abschiebelager. Abgelegen und weitgehend unsichtbar für Einwohner und Besucher. Als die Aktivisten des Social Forums und das örtliche Beobachterkomitee in der sengenden Augusthitze die Delegation der Parlamentarierin von Rifondazione Comunista begleiteten, und nahezu zwei Stunden vor dem Zentrum auf sie warteten, erschien das Gelände noch verlassener und abgelegener als sonst. Die Carabiniere versorgten sie mit Wasser, die Stimmung ist friedlich. Seit kurzem gibt es einen neuen Präfekten in Agrigento, Fulvio Sodano, der, anders als sein Vorgänger, eine gute Zusammenarbeit mit den örtlichen und nationalen Aktivisten sucht.
Noch im vergangenen Dezember war einer Delegation der Zugang verwehrt worden. Der Zustand des Zentrums hat sich seither verbessert (tags zuvor waren noch die Wände gestrichen worden). Die Insassen waren fast allesamt Einwanderer, die durch das Netz der Legalisierungskampagne gefallen waren: Haushaltshilfen, Saisonarbeiter, die schon lange schwarz arbeiten. Eine der Insassen die die Delegation vorfand, war eine Rumänin, die mit regulärem Pass und Visum zur Taufe ihrer Nichte eingereist war, es jedoch verabsäumt hatte sich innerhalb von acht Tagen zu melden. Die Insassen wissen meist gar nicht, warum sie sich im CPT befinden.
Der Besuch des Zentrums und die anschließenden Gespräche der Parlamentarierin sowie der Mitglieder des Social Forum mit dem neuen Präfekten hatte unmittelbare Resultate: In Hinkunft soll der örtlichen Beobachtungsgruppe ein regelmäßiger Zugang zum CPT und damit eine verstärkte Kontrolle möglich sein. Doch das, so Federica Sossi, eine der Organisatorinnen der Aktionswochen des Social Forum und Philosophin an der Universität Bergamo, lindert lediglich die Auswirkungen dieser Strukturen, die Missbräuche vorprogrammieren.