Russischer Präsident gelobt bei seiner 13. TV-Show "Heißer Draht" Besserung in Wirtschafts- und Sozialpolitik.
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Moskau. Es war die 13. Auflage seiner TV-Show, in der Russlands Bürger einmal im Jahr Fragen direkt an den Kreml-Führer richten durften. Die Liste war heuer besonders lang. Knapp zwei Millionen Bürgerfragen waren im Vorfeld der bis ins letzte Detail durchchoreografierten Polit-Inszenierung "Heißer Draht" eingegangen - die Spindoktoren des Kreml sortierten schließlich jene aus, die Wladimir Putin zugemutet werden dürfen. Fünf Stunden lang stand der Kremlführer schließlich, umringt von einem handverlesenen Publikum, unter ihnen Journalisten, am Donnerstag Rede und Antwort.
Um brisante Themen kam der mit wachsender Kritik konfrontierte Staatschef dabei nicht herum. Die meisten Bürgerfragen drehten sich denn auch um die Wirtschaftskrise, Russlands Kriegseinsatz in der Ukraine und die vielen sozialen Probleme, mit denen das Gros der Bevölkerung alltäglich zu kämpfen hat. Putin gab sich dabei ungewohnt handzahm - verbal-aggressive Angriffe auf den Westen blieben aus.
Auf die innerrussischen Probleme konterte Putin derweil mit einer Mischung aus Zweckoptimismus und dem Gelöbnis zur Besserung,die besorgten und mitunter empörten Anrufer zu kalmieren. So versprach der 62-Jährige einmal mehr eine Verbesserung der maroden Infrastruktur, der Unterstützung der über Kreditklemmen klagenden Klein- und Mittebetriebe, einen entschiedeneren Kampf gegen Arbeitslosigkeit (5,8 Prozent) und effizientere Maßnahmen gegen die Inflation; die Aussagen sorgten für sarkastische Kommentare seiner Kritiker. Putin sei seit 15 Jahren für die Politik im Land verantwortlich, von der er sich nun offenbar distanziere.
Putins angekündigte Korrekturmaßnahmen dürften russische Bürger kaum beruhigt haben. Für heuer wird eine Teuerungsrate von 12 Prozent erwartet, manche gehen von 17 Prozent aus. Die Preise für Lebensmittel waren in den vergangenen Monaten im Durchschnitt sogar um rund 20 Prozent hochgeschnellt.
Die Wirtschaftsdaten geben auch sonst wenig Anlass zum Optimismus. Die Rohstoffmacht steckt in einer ihrer schwersten Wirtschaftskrisen seit Putins Machtantritt vor 15 Jahren - ausgelöst durch den enormen Ölpreisverfall, verstärkt durch die westlichen Sanktionen und die Strukturprobleme, mit dem das 142-Millionen-Einwohner-Land kämpft. Die Wirtschaft in Russland, dessen Staatseinnahmen sich zu 60 Prozent aus Öl- und Gasexporten speisen, brach im Vorjahr massiv ein - sie wuchs lediglich um 0,5 Prozent - das rohstoffarme China verzeichnete im gleichen Zeitraum ein BIP-Wachstum von 7,5 Prozent. Für heuer wird mit einem Minus von drei bis vier Prozent gerechnet, 2016 mit einem Minus von 1,6 Prozent.
Brüskierungen blieben aus
Doch Putin bemühte sich, Optimismus zu versprühen. Ja, es gebe Probleme, räumte der Kremlchef in seiner Call-in-Show ein. Eine Rückkehr zum Wachstum "in zwei Jahren oder auch weniger" sei aber möglich - auch wenn er es für unwahrscheinlich halte, dass der Westen seine Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts bald aufhebe. Als Hoffnungsschimmer nannte der Präsident dabei das Ende der Rubel- Talfahrt. Er selbst gibt sich bescheiden. Seine privaten Einnahmen betrugen im Vorjahr laut seiner Steuererklärung 140.000 Euro - das entspricht seinem Präsidentengehalt.
Ungewohnt moderat fielen Putins Seitenhiebe gegen den Westen aus. Zwar verteidigte er seine Ukraine-Politik, verzichtete aber auf verbale Provokationen und russisches Großmacht-Gehabe. "Ich will betonen: Wir haben keine Ziele einer Wiedergeburt des Imperiums, bei uns gibt es keine imperialen Ambitionen", betonte der Kremlchef. Auch verzieh er Frankreich mit großzügiger Geste den wegen der Krim-Krise geplatzten Verkauf von zwei Mistral-Kriegsschiffen. Beobachter werteten dies als Indiz, dass der MoskauerMachtelite die negativen wirtschaftlichen Folgen des neu aufgeflammten Ost-West-Konflikts mehr Kopfzerbrechen bereiten als diese offiziell zugibt.
Stattdessen wiederholte Putin altbekannte Vorwürfe. Die Sanktionen seien politisch motiviert, die Schuld an der Spaltung der Ukraine tragen Kiew, das mit der Weigerung, Renten an die Ostukrainer auszubezahlen, den Donbass "mit den eigenen Händen" abgetrennt habe, so Putin in der TV-Show. Dass die Transferzahlungen als nach dem russischen Einmarsch eingestellt wurden, verschwieg Putin der russischen Öffentlichkeit.
Das wahre politische Leben spielte sich, wie immer in Russland, ohnehin außerhalb der Fernsehstudios ab. Während Putin die Bürgerfragen beantwortete, durchsuchten maskierte Sicherheitskräfte in Moskau die Büroräume der Oppositionsbewegung "Offenes Russland", die von dem im Schweizer Exil lebenden Putin-Kritiker und Ex-Häftling Michail Chodorowski finanziert wird. Beschlagnahmt werden sollten "extremistische Agitationsmaterialien" - Flugblätter also - für eine Demonstration, die ohnehin bereits abgesagt worden war.