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"Beitrittsperspektive verhindert neue Probleme am Balkan"

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Serbischer Innenminister Dacic plädiert für stärkeres Engagement der EU. | "Korruption gehörte zum Alltag." | "Wiener Zeitung": Haben Sie das Gefühl, dass es auf dem Weg Serbiens in die EU nun langsamer vorangeht? Wird die EU zögerlicher?


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Ivica Dacic: Ich denke, dass die EU im Allgemeinen ihren Erweiterungsprozess verlangsamt hat. Serbien ist bereit, alle Reformen durchzuführen, die das Land näher an die Union führen. Belastet wird dieser Prozess durch (den wegen Kriegsverbrechen gesuchten Ex-General) Ratko Mladic und das ungelöste Problem des Kosovo.

Sind das nicht für Serbien größere Probleme als für die EU? Für die meisten europäischen Länder ist die Loslösung des Kosovo ja eine Tatsache.

Generell ist es auch im Interesse der Union, Serbien aufzunehmen. Es ist besser, das Land als Problemlöser denn als Problem selbst zu haben. Daher sollte die europäische Perspektive allen Ländern in der Region gegeben werden. Das würde das Auftauchen neuer Schwierigkeiten verhindern. Selbstverständlich ist auch Serbien an der EU interessiert. Wir müssen daher einen gemeinsamen Modus Vivendi finden, um die jetzigen Probleme zu lösen.

Welche neuen Schwierigkeiten meinen Sie?

Eigentlich sind es Konflikte, die bereits bestehen, aber derzeit nicht zum Tragen kommen. So wie albanische Forderungen auf dem Balkan, serbische Ansprüche oder die Abspaltungstendenzen in Bosnien-Herzegowina.

Serbien selbst hat auch mit Korruption zu kämpfen. Die ist überall, sagt Ihre Anti-Korruptionsbehörde. Was unternehmen Sie dagegen?

Viele Jahre lang gehörte Korruption auf dem Balkan zu unserem Alltag. In einem Land, wo Beamte niedrige Gehälter hatten, wo grenzüberschreitender Schmuggel etwas Normales war, wo Waffen verschoben wurden, sind die Voraussetzungen für Korruption leicht geschaffen. Doch wir haben alle notwendigen Gesetze angenommen, um dagegen vorzugehen. Wir haben die Anti-Korruptionsbehörde gegründet.

Und was sind die Effekte?

Wir haben Fortschritte erzielt. Im Vorjahr hatten wir fünf Mal so viele Verhaftungen wegen Korruption wie in den fünf Jahren davor.

Auf der anderen Seite, lautet die Kritik, hat die Regierung nicht verhindert, dass viele Privatisierungen zur Geldwäsche genutzt wurden.

Ein Drittel der Privatisierungen wurde für ungültig erklärt, weil es Irregularitäten gegeben hat. Auch da haben wir etliche Verhaftungen vorgenommen. Ein Großteil der Privatisierungen passierte vor einigen Jahren, bevor das entsprechende Gesetz geändert wurde. Derzeit haben wir große Probleme mit diesen Unternehmen: Manche funktionieren gut, manche wurden zugrunde gerichtet und entließen Leute, manche wurden tatsächlich zur Geldwäsche genutzt und ihres Kapitals beraubt. Es gab kaum Kontrolle. Doch das ist ein Problem, das in weiten Teilen Osteuropas besteht.

Gibt es Konsequenzen für die Unternehmen?

Wo es illegale Tätigkeiten gegeben hat, gab es Verhaftungen. Falls der Vertrag undurchsichtig war, hat ihn die Privatisierungsagentur für ungültig erklärt. Falls das investierte Geld aus kriminellen Quellen stammte, wurden die Unternehmen beschlagnahmt.

In Österreich gab es nach der Visa-Liberalisierung Befürchtungen zu Kriminalität und neuen Immigranten, die Jobs gefährden könnten.

Ich antworte scherzhaft: Wir sind nicht so fleißige Leute, um anderen den Job wegzunehmen. Im Ernst: Die Visa-Liberalisierung ist eine Sache, doch Beschäftigung oder Kriminalität ist eine andere Angelegenheit. Die Zahl der von Serben begangenen kriminellen Aktivitäten ist zurückgegangen. Auf der anderen Seite gab es keinen Anstieg illegaler Immigration. Ängste um den Arbeitsplatz sind in Krisenzeiten verständlich. Doch sollten das nicht die größten Befürchtungen in Zusammenhang mit der EU-Annäherung des Westbalkans sein. Denn viele Menschen aus der Region leben bereits hier - und das seit Jahrzehnten.

Ivica Dacic (44) ist Vorsitzender der serbischen Sozialistischen

Partei des ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic. Seit zwei Jahren ist er Innenminister und Vizepremier Serbiens.