Noch nie wurden in Wien so viele Dieselfahrzeuge gekauft wie 2016.
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Wien. Trotz Feinstaubrekorden wurden in Wien noch nie so viele Dieselfahrzeuge gekauft wie 2016. Während andere große Städte den Autoverkehr reduzieren und die besonders gesundheitsschädlichen Dieselfahrzeuge mit Fahrverboten und Umweltgebühren belegen, geht die heimische Politik einen anderen Weg.
Dieseltreibstoff bleibt in Österreich im Vergleich zu Eurosuper steuerlich begünstigt. Was bei der Einführung dieser Privilegien einmal als Förderung für den ländlichen Bereiche und landwirtschaftliche Maschinen gedacht gewesen sein mag, schuf Anreize für Firmen wie für Privatpersonen, auf eine - wie wir heute wissen - umweltschädliche Motorentechnologie zu setzen.
Obwohl durch den VW-Abgasskandal bekannt wurde, wie Kfz-Hersteller bei den Angaben über Abgaswerte tricksen. Und trotz der zuletzt miserablen Luftgüte-Situation in österreichischen Städten traut sich kaum jemand, das Diesel-Privileg abzuschaffen. Die Folge: 2016 erzielte der Verkauf von Dieselfahrzeugen neue Rekordwerte.
Laut Kfz-Zulassungszahlen der Statistik Austria wurden 2016 in Österreich 188.820 Diesel-Pkw zugelassen - das sind fast zwei Drittel aller Neuzulassungen. Allein in Wien kamen 41.379 (2010 waren es noch 35.122) Diesel-Pkw dazu, wodurch sich deren Bestand auf 375.673 Stück erhöhte. Diesel-Pkw machen in Wien 55 Prozent aller Pkw aus. (Zum Vergleich: Autos mit Elektroantrieb liegen bei einem Anteil von gerade einmal 0,9 Prozent.)
Feinstaubbelastung
Bei den Lastwagen ist der Hang zum Diesel noch ausgeprägter. Die Armada der Klein-Lkw (bis 3,5 Tonnen) in Wien ist inzwischen auf 60.342 Stück angewachsen: 56.032 davon verbrennen Diesel. Bei den schweren Lkw gibt es zu Diesel anscheinend überhaupt keine Alternative. Insgesamt sind auf Wien Straßen rund 250.000 Fahrzeuge mit Dieselantrieb unterwegs. Und das sind nur die mit Wiener Kennzeichen. Dazu kommen zehntausende weitere, die täglich aus dem Umland einpendeln.
Autoabgase, speziell die von Dieselmotoren, sind nun aber die Hauptursachen der urbanen Feinstaubbelastung. In Wien, normaler Weise durch die windige Wetterlage begünstigt, bläst praktischer Weise der Wind die Schadstoffe meistens recht bald fort. Wenn allerdings - wie im vergangenen Jänner und Februar - eine sogenannte Inversionswetterlage die Durchmischung der Luftmassen verhindert, wird der Dreck in der Luft spürbar. Die Schadstoffe, die in und um Wien produziert werden, sammelten sich wie eine Glocke über der Millionenstadt.
Laut den offiziellen Luftgütemessungen des österreichischen Umweltbundesamtes und der MA22 nahm Wien im Frischluft-Ranking der Städte in den Wintermonaten einen negativen Spitzenplatz ein: Die Luft bei uns war zumindest für ein paar Tage schlechter als in London, Paris, Mexiko City und sogar Peking. "Die Überschreitungen sind so hoch wie sonst nur am Silvestertag nach den Feuerwerken", erklärt der Umweltmediziner und stellvertretender Leiter des Instituts für Umwelthygiene an der Medizinischen Universität Wien in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" im Jänner.
In der Folge verschlechterte sich die Situation noch zusehends. Ende Februar wurden in Wien bereits an 19 Tagen Überschreitungen des von der EU verordneten Feinstaub-Tagesmittelwertes von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter gemessen. In Wien war es zu mehr als dreimal so vielen Überschreitungen als im gesamten Jahr 2016 gekommen, hieß es in einer Analyse des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) Mitte Februar.
"Für die Luftqualität in Österreich ist der hohe Diesel-Anteil auch aufgrund der deutlich höheren Stickoxid-Emissionen sehr negativ. Stickoxide schädigen die Gesundheit der Bevölkerung", erklärt VCÖ-Expertin Ulla Rasmussen. Feinstaub und Stickstoffdioxid schädigen die Atemwege, führen zu Entzündungen und Bronchitis. Studien belegen den Zusammenhang von Luftschadstoffen und einer kürzeren Lebenserwartung.
Natürlich ist Luftverschmutzung keine österreichische oder Wiener Spezialität. Speziell ist nur, wie hierzulande damit umgegangen wird. Während Stadtverwaltungen auf der ganzen Welt unter dem Eindruck von Smog, Stau und Lärm Maßnahmen setzen, die massiv die Mobilität der Bürger berühren - großflächige Verkehrsberuhigung, Umwandlung von Hauptverkehrsrouten in Fußgänger-Boulevards, City-Maut, großzügiger Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und Anreize für eine Elektrifizierung des motorisierten Individualverkehrs -, passiert in Wien wenig.
Forderung nach Umweltzonen
Immerhin denkt der kleine grüne Regierungspartner vorsichtig die Einführung von Umweltzonen an, wie sie in Deutschland bereits 54 Städte eingeführt haben. Diese Zonen sehen vor, dass schadstoffreiche Fahrzeuge nicht mehr in bestimmte Stadtgebiete einfahren können.
So gab das Verkehrsressort von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou eine Studie in Auftrag, die untersuchen soll, in welcher Form in Wien eine Feinstaubzone eingerichtet werden kann. "Mir ist es wichtig, dass Wien im Bereich ökologischer Verkehr die Nase vorn hat, daher müssen jetzt auch weitere Schritte gesetzt werden, um die Wiener Luft von Dieselruß und anderen Giften freizubekommen", erklärte Vassilakou.
Ob auch der Koalitionspartner mit dem Vorstoß der Grünen Freude hat, ist eine andere Frage. Die Grünen hatten sich bereits 2010 für die Einführung von Umweltzonen ausgesprochen, der Vorschlag war bei der SPÖ allerdings abgeblitzt. Und während sich die Grünen Verkehrsberuhigung begrüßen, ist die Wiener SPÖ in Sachen Verkehrspolitik gespalten. Zuletzt hatte sich Bürgermeister Michael Häupl in einem Interview zum Lobau-Tunnel bekannt. Speziell in den Außenbezirken hängt man - unbeirrt von den Lösungsansätzen in Städten wie London, Paris, Berlin oder Madrid - eher den Verkehrskonzepten der 1970er Jahre an.