Eigentlich sollten sie Indiens Frauen vor sexueller Gewalt schützen. Doch die Anti-Romeo-Einheiten der Polizei betätigen sich lieber als Sittenwächter und stellen Liebespaaren nach.
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Neu-Delhi. Der Park ist leer. Wo sonst am Sonntag Paare vertraut auf Bänken sitzen und Gruppen von jungen Leuten entspannt im Gras hocken, sind nur ein paar ältere Männer zu sehen. Denn die Angst geht um im Swarna Jayanti-Park in Ghaziabad, unweit der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Neun junge Männer sind hier vor kurzem festgenommen worden. Außer der Tatsache, dass sie jung waren, hatten sie sich nichts zuschulden kommen lassen. "Sie haben niemanden gestört", versichert Parkwächter Atul Kumar. Die Pensionäre im Park pflichten ihm bei: "Die waren mit Freunden hier. Die waren hier, um zu lernen, zu entspannen und eine gute Zeit zu haben."
Die Pensionisten im Park müssen wegen ihres Alters die neuen "Anti-Romeo-Einheiten" der Polizei nicht fürchten, die in den letzten Wochen im Bundesstaat Uttar Pradesh Parks durchkämmen und andere öffentliche Plätze kontrollieren. Der neue, rechtsnationalistische Regierungschef Yogi Adityanath hat versprochen, den Bundesstaat sicherer für Frauen zu machen. Das ist bitter nötig, schließlich ist der Bundesstaat eines der Schlusslichter in Indien, wenn es um die Sicherheit von Frauen geht. Nach Angaben des "Nationalen Büros für Kriminalstatistik" verzeichnete Uttar Pradesh 2015 die höchste Zahl von Verbrechen, die gegen Frauen gerichtet waren: 35.527 Fälle insgesamt, davon 3025 Vergewaltigungen.
Ministerpräsident Adityanath hat daher hunderte Polizisten dazu abgestellt, junge Männer abzumahnen, die vor Mädchenschulen und anderen Orten herumstreunen und Frauen und Mädchen belästigen. In den ersten Tagen bereits hatte die neue Truppe hart durchgegriffen und mehr als 1000 junge Männer verhaftet. Doch damit nicht genug. Die Sitten-Wacht nahm auch Paare ins Visier, die ihnen nicht geheuer vorkamen: Im Ambedkar-Park in Noida, 20 Kilometer von Ghaziabad, wurden ein Student und eine Studentin von der Polizei nach ihren Ausweisen gefragt und auf die Polizeiwache gebracht. Ein Spaziergänger filmte den Polizeieinsatz und machte das Video publik.
Fotos und Videoclips von Polizisten, die junge Männer dazu zwingen, Sit-ups zu machen, um sie für angeblich unsittliches Verhalten zu bestrafen, machten ebenso im Netz die Runde, wie ein Polizeieinsatz, bei dem ein Mann, der vor einem Geschäft auf seine Frau wartete, sich rechtfertigen musste, was er auf der Straße zu suchen hatte. Ein Ehepaar in Lucknow, das in einer Motor-Rikscha auf dem Weg ins Kino war, wurde gestoppt und von den Ordnungshütern befragt. Öffentlichen Spott erntete auch eine groß angelegter Anti-Romeo-Einsatz gegen einen Lehrer und eine Schülerin in Moradabad mit 40 Polizisten und acht Polizeifahrzeugen. Augenzeugen berichteten später, die Operation habe wie die Festnahme eines Terroristen oder Schwerstkriminellen gewirkt. Nachdem die Polizei das Haus des Lehrers zunächst umstellt und dann gestürmt hatte, stellte sich heraus, dass die junge Frau seine Schülerin war, die Notizen abholen wollte.
"Wir leben doch nichtmehr im 16. Jahrhundert"
Angesichts des öffentlichen Aufschreis und der Kritik, die Polizei würde sich als Sittenwächter betätigen, statt Frauen zu schützen, sah sich Ministerpräsident Adityanath kürzlich gezwungen, seine Anti-Romeo-Einheiten zur Zurückhaltung anzuhalten. Der 44-jährige Mönch und Hindu-Hardliner ist eine polarisierende Figur: Er hat Kampagnen gegen religiöse Minderheiten wie Christen und Muslime geführt und nannte die heilige Mutter Teresa eine christliche Verschwörerin. Berüchtigt ist er auch für seine Anschuldigung, Muslime in Indien hätten zu einem "Liebes-Dschihad" aufgerufen und wollten Hindu-Frauen durch Heirat zum Islam konvertieren.
Seine Vorgeschichte lässt liberale Stimmen in Indien fragen, ob der Hindu-Priester weniger den Schutz von Frauen als die Durchsetzung antiquierter Moralvorstellungen im Sinn hat. Frauenrechtlerinnen beklagen, dass der Politiker nicht die echten Verbrechen gegen Frauen schärfer verfolgt. "Das ist doch ein Witz", schimpft die Aktivistin Ranjana Kumari. "Wir leben doch nicht mehr im 16. Jahrhundert, als Männer und Frauen nicht zusammen im Park sitzen und Händchen halten dürfen." Der Bundesstaat brauche eine Polizei, die weniger korrupt sei und klar gegen Vergewaltiger und Stalker vorgehe. Die neuen Anti-Romeo-Einheiten machten das Leben von Frauen nicht sicherer - im Gegenteil, sie müssten jetzt zusätzlich noch Belästigungen durch die Polizei fürchten.