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Belgien vor Durchbruch für neue Regierung

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Flamen erhalten Brüsseler Umlandgemeinden. | Staatsreform, Dauer der Gespräche über Koalition offen.


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Brüssel. Belgien ist entlang der Sprachgrenzen durch einen tiefen politischen Graben in Flandern im Norden und die französischsprachige Wallonie im Süden geteilt. 460 Tage sind die belgischen Wahlen am 13. Juli 2010 inzwischen her. So lange hat es gedauert, bis der wallonische Sozialist Elio Di Rupo bei den Koalitionsverhandlungen mit den Vertretern von sieben anderen Parteien aus beiden Landesteilen einen Durchbruch erzielt hat, an den kaum noch jemand geglaubt hat. "Historisch" und "Wunder" titelten sowohl flämische als auch französische Zeitungen. Die Separatisten der Neuen Flämischen Allianz (N-VA), die unter Bart De Wever die Wahlen im Vorjahr gewonnen hatten, sitzen nicht mit am Tisch und lehnen die Einigung als nicht weitreichend genug ab.

Doch was war passiert? Die Parteienvertreter der potenziellen zukünftigen Koalition haben sich in der Nacht auf Donnerstag auf die Modalitäten für die Teilung des bisher einzigen gemischtsprachigen Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV) geeinigt. Nur noch in sechs flämischen Randgemeinden der französischsprachigen Hauptstadt sollen frankophone Bewohner weiterhin für Brüsseler und wallonische Parteien wählen dürfen. Bisher umfasst BHV 35 Randgemeinden. Was für den Nicht-Belgier einigermaßen kurios klingt, ist die Lösung eines jahrzehntelangen Streits, an dem schon einige Regierungen zerbrochen sind.

Leterme vor Abschied

Davor hatte sich die Lage zugespitzt. Der sichtlich entnervte Di Rupo hatte nach monatelangen ergebnislosen Debatten eine "allerletzte Chance" ausgerufen und sogar König Albert II. von seinem Urlaub in Nizza zurückgebeten. Letzteres, um sofort als Regierungsbildner zurücktreten zu dürfen, wie die meisten Kommentatoren erwarteten. Zusätzlich hatte der vor 15 Monaten abgewählte und seither die Geschäfte weiter führende Premier Yves Leterme angekündigt, zu Jahresende als Vize-Generalsekretär zur OECD nach Paris zu gehen. Verfassungsrechtler sind uneins, ob ein geschäftsführender Regierungschef so einfach nachbesetzt werden kann. Er müsste vor dem König den Eid ablegen, nur um sofort wieder zurückzutreten.

Und ob die neue Regierung steht, bis Leterme abreist, bleibt völlig unklar. Denn trotz des "historischen Wunders" ist der Weg zu einer Koalitionsvereinbarung noch weit. Es warten so explosive Themen wie die Neuverteilung von Kompetenzen von der Zentral- an die Regionalregierungen und ein neues Finanzierungsgesetz, mit dem die milliardenschweren Transferleistungen reduziert werden sollen, welche das reichere Flandern jedes Jahr in die Wallonie überweist. Doch erst wenn das gelöst werden sollte, können inhaltliche Debatten über die künftige Wirtschafts- und Sozialpolitik starten.

Schließlich kommen die acht Parteien nicht nur aus zwei Landesteilen sondern aus den politischen Familien der Christdemokraten, Sozialisten, Liberalen und Grünen. Diese Bandbreite ist notwendig, weil die stärkste Partei, die separatistische N-VA, nicht mitmachen will. Leterme macht sich schon einmal daran, den Haushalt für 2012 als Abschiedsgeschenk auszuarbeiten.