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Liberale verließen wegen Sprachenstreit die Koalition. | König nimmt Rücktritt Letermes vorerst nicht an. | Brüssel. Wieder einmal ist am Donnerstag eine belgische Regierung über den politischen Streit zwischen dem flämischen Norden und dem französischsprachigen Süden des Landes gestürzt - diesmal gut zwei Monate vor dem Antritt des EU-Vorsitzes im Juli.
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Nachdem die flämischen Liberalen Open VLD die Fünf-Parteien-Koalition verlassen hatten, reichte Premierminister Yves Leterme nach nur fünf Monaten im Amt bei König Albert II. seinen Rücktritt ein. Der erbat Bedenkzeit. Die verbliebenen vier Parteien in der sozialistisch-christdemokratisch-liberalen Koalition kritisierten das Vorgehen der flämischen Liberalen zu diesem Zeitpunkt scharf. Bei Neuwahlen im Juni wird befürchtet, dass Belgien ohne Regierung den EU-Vorsitz antreten muss. Nach den letzten Wahlen hatten die Koalitionsverhandlungen zwischen den sechs größten Parteien aus den beiden Landesteilen rund zehn Monate gedauert.
Der konkrete Anlass für den Austritt der Open VLD war der Ablauf einer Frist für die Neuorganisation des einzigen gemischtsprachigen Wahlbezirks Belgiens: Brüssel-Halle-Vilvoorde, oder kurz BHV, besteht aus den 19 Bezirken der mehrheitlich französischsprachigen Hauptstadt und 35 Umlandgemeinden, die auf dem Gebiet der Provinz Flämisch-Brabant liegen. Daher dürfen die französischsprachigen Bewohner von BHV entgegen den üblichen Gepflogenheiten des nach den Sprachgrenzen geteilten Landes für frankophone Parteien stimmen, obwohl sie auf flämischem Boden wohnen. Das stört nicht nur die Flamen, auch der belgische Verfassungsgerichtshof hat den gemischten Wahlbezirk längst für unzulässig erklärt. Im Wesentlichen wollen die Flamen die Umlandgemeinden Flandern eingliedern, die Wallonen aus dem Süden beharren auf den Sonderrechten für die frankophonen Bewohner.
Das Problem ist zwar nur eine Facette des politischen Streits zwischen dem Norden und dem Süden des Landes. Am Ende will das reichere Flandern per Staatsreform seine milliardenschweren Transferzahlungen in die darbende Wallonie eindämmen.
Doch dass der politisch bisher nicht sehr erfolgreiche Leterme keine Chance haben würde, das Problem BHV zu lösen, war König Albert II. bereits beim Amtsantritt klar. Daher hatte er den erfahrenen Ex-Premier Jean-Luc Dehaene mit den Verhandlungen zwischen den Landesteilen beauftragt. Als auch der das Handtuch warf, haben vier Koalitionsparteien vorgeschlagen, einfach weiterzuverhandeln; die flämischen Liberalen zogen nicht mit. Brüsseler Kommentatoren vermuten, dass sich der neue Parteichef der Open VLD, Alexander De Croo, bei Neuwahlen Stimmengewinne erwartet.
Besiegelt dürfte mit dem Sturz der Regierung indes das politische Schicksal von Leterme sein. Er war schon nach den letzten Wahlen 2007 mehrmals an der Bildung einer Regierung gescheitert.