Von Soundspaziergängen bis zum Speed Dating für hungrige Literaten.
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Wien. Wie vermittelt man Literatur, ohne dieselben ausgeleierten Konzepte zu strapazieren? Wie bringt man Texte von südosteuropäischen Autoren an ein österreichisches Publikum? Das waren die Fragen, die sich Elena Messner, Eva Schörkhuber und Antonia Rauhofer immer wieder stellten. Mit ihrem Verein Textfeld Südost haben sich die zwei Kultur- und Literaturwissenschafterinnen zur Aufgabe gemacht, Texte aus Südosteuropa in deutscher Übersetzung nicht nur wissenschaftlich zu rezipieren und zu verarbeiten, sondern auch auf unkonventionelle Weise einem größeren Publikum näher zu bringen.
Ein schneller Thomas-Bernhard-Remix aus Serbien
Das erste größere Projekt der Gruppe, die 2009 mit einer Website für südosteuropäische Literatur in deutscher Übersetzung anfing, waren die "Wiener Soundspaziergänge". Diese fanden erstmals 2010 statt und sind mittlerweile ein Fixpunkt im Jahr. Unter Titeln wie "Donaukanalisierungen", "Museumseinquartierungen" oder "Karlsplatzierungen" werden die literarischen Schwerpunkte auf die Stadt als Lebens- und Leseraum gesetzt. Der Blick auf Wien wird durch die Augen von Autoren aus Südosteuropa in die Ohren eines Wiener Publikums geleitet. Ausgestattet mit MP3-Player und Kopfhörern, können die Teilnehmer bei diesen jährlich stattfindenden Veranstaltungen Texte über Wien direkt an deren Handlungsorten erleben.
"Die Idee zu den Soundspaziergängen kam uns auf einer Terrasse in Belgrad, auch wenn das jetzt sehr nach Gründungsmythos klingt", erzählt Eva Schörkhuber verlegen. Damals hatte sie ihre Kollegin Elena Messner besucht, die für zweieinhalb Jahre in Belgrad gelebt und ihre Dissertation über Literatur in der post-jugoslawischen Nachkriegsgesellschaft geschrieben hatte. Zu der Zeit hatte sie gleich drei Autoren kennengelernt, die in ihren Texten über Wien geschrieben hatten. Dragan Velikic, ein früherer serbischer Botschafter in Wien, gehörte dazu, ebenso wie der Autor Srdjan Tein und die Newcomerin Barbi Markovic, deren Thomas Bernhard Remix "Ausgehen" bald über die Grenzen Serbiens bekannt werden sollte. Dabei handelte es sich um nicht-deutschsprachige Literatur, die in Wien spielte, aber hierzulande kaum rezipiert wurde. Die Idee war, die Leute durch ihre eigene Stadt zu führen, zu den Orten, an denen die Geschichten ihren Ursprung nahmen.
Von Soundspaziergängen und Speed Dating
"Irgendwie kam alles sehr schnell und spontan ins Rollen", erinnert sich Schörkhuber. "Wir trafen Dragan Velikic und spielten den Text gleich in seiner Wohnung in Belgrad auf ein einfaches Diktiergerät ein", erzählen die beiden Frauen. Bei dem ersten Soundspaziergang im Herbst 2010 waren nur vier Besucher dabei. Mittlerweile sind es einige Dutzend und haben bereits zum vierten Mal stattgefunden. Sie sind alle online nachhörbar und auch als Bücher erschienen. Um die vierzig Menschen sind heute an dem Projekt beteiligt - Literaten, Musiker, Sounddesigner, Übersetzer. Der Verein kooperiert auch mit dem Verlag Edition Atelier, mit dem man gemeinsam die Literaturpassage im Museumsquartier gestaltet.
Aus den Soundspaziergängen ergab sich schnell eine weitere unkonventionelle Form der Lesung: das Speed Dating. Die Speed-Dating-Lesungen sind der zweite jährliche Fixpunkt im Programm des Textfelds Südost. Sie gelten unter Eingeweihten als legendär. Ein paar Autoren finden sich in einem Lokal zusammen, platzieren sich auf mehreren Tischen und lesen jeweils zehn Minuten aus ihren Texten. Die ersten Ausgaben fanden im Lokativ im zweiten Bezirk statt, aktuell wird im Ost Klub "gedatet". Die Trennung zwischen Publikum und Autoren wird bei diesen Lesungen so konsequent aufgehoben, wie nirgendwo sonst. Man sitzt an einem Tisch, gelesen wird in intimer Atmosphäre. Für alle Beteiligten ist es ein Blind Date und von der großen Liebe bis zum absoluten Reinfall ist alles möglich. "Wir wollten etwas machen, das ganz anders ist als die üblichen Lesungen, wo vorne ein Autor an einem kleinen Tisch sitzt, mit Wasserglas und Mikrofon", erzählen Elena Messner und Eva Schörkhuber.
Literatur mit Akzent ohne Migrationsstempel
Dieser Gedanke einer alternativen Literaturvermittlung zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit von Textfeld Südost: Weg von den üblichen Lesungen, bei denen der Autor einsam auf der Bühne sitzt. Die Leute, die hinter dem Projekt stehen, sind hauptsächlich im Verlagswesen und im Literaturbetrieb tätig. Knapp zehn Leuten sind im Verein aktiv. Was sie hier tun, ist ein Ausgleich zur Monotonie ihres Arbeitsalltags im Literaturbetrieb.
Mit diesem Gedanken organisierten sie vergangenen Sommer die erste Ausgabe des "Sommerloch Festivals" am Donaukanal. Hier trifft Text auf Sound, Sound auf Performance und einmal wieder zurück. Die künstlerischen Beiträge verschiedener Genres finden gleichzeitig statt und geben einander Inputs für Improvisation. Was anstrengend klingt, findet in einer entspannten Atmosphäre in Form eines dreitägigen Programms im Central Garden am Donaukanal statt.
Die Dichte an Autoren aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien ist, wie bei allen Veranstaltungen des Vereins, sehr hoch. Eines ist klar: Das hier ist Literatur mit Akzent. Trotzdem wird die eigne Arbeit nie mit dem Migrantenstempel verkauft. "Uns hat einfach interessiert, ob Leute, die nicht von hier sind, anders über Wien schreiben als österreichische Autoren", sagt Elena Messner. Und tun sie das? - "Nein, überhaupt nicht", lacht die junge Frau. Die gemeinsame Erfahrung der Stadt wird zum verbindenden Element.