Die Fledermaus steht nicht erst seit Sars-CoV-2 im Fokus der Forschung.
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Fledermäuse könnten Mechanismen entwickelt haben, um eine große Menge an viralen Sequenzen zu tolerieren. Das berichten Wissenschafter im Fachmagazin "Cell". Zudem haben die Tiere möglicherweise eine engere Beziehung zu Viren als bisher angenommen. Die Erkenntnisse eröffnen die Möglichkeit, zu untersuchen, wie Viren wie Sars-CoV-2 überleben, sich ausbreiten und dem Immunsystem durch ausgeklügelte Anpassungen entgehen.
Beim Ursprung der Corona-Pandemie fischt die Wissenschaft nach wie vor im Trüben. Viele Puzzlesteine zum Entstehen des Covid-19-Erregers sind bereits gesammelt, aber eine endgültige Lösung gibt es noch immer nicht. Fest steht allerdings, dass Fledermäuse, die unter anderem als Übeltäter für die Pandemie vermutet werden, beliebte Wirtstiere sind - etwa auch vom Covid-19-Erreger. Viele Fledermausarten tolerieren nachweislich Viren wie Sars-CoV, Sars-CoV-2, Mers-CoV und Marburg und sie überleben auch solche, die beim Menschen eine hohe Sterblichkeitsrate verursachen.
Das Wissenschafterteam der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York erzeugte die ersten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs) aus Fledermäusen. Sollen Zellen werden durch genetische und chemische Umprogrammierung von Haut- oder Blutzellen in neugeborene Stammzellen erzeugt. Da sie embryonalen Stammzellen sehr ähnlich sind, haben das Potenzial, sich in jede Zelle des Körpers zu verwandeln.
Symbiotische Beziehung
Bisher gab es keine zuverlässigen zellulären Modelle zur Untersuchung der Biologie von Fledermäusen oder ihrer Reaktionen auf Virusinfektionen, schreiben die Forscher in ihrer Publikation. Sie haben die iPS-Zellen aus der wildlebenden Großen Hufeisenfledermaus (Rhinolophus ferrumequinum) hergestellt. Sie ist die häufigste asymptomatische Überträgerin von Coronaviren, einschließlich jener, die eng mit Sars-CoV-2 verwandt sind.
"Der Vergleich von Fledermaus iPS-Zellen mit denen anderer Säugetiere ermöglichte es uns, eine einzigartige Stammzellbiologie aufzudecken, die bisher noch nie beobachtet wurde", erklärt der Mikrobiologe Adolfo García-Sastre. In den Zellen befinden sich ihm zufolge mit Viren gefüllte Vesikel, die die wichtigsten Virusfamilien repräsentieren, ohne die Fähigkeit der Zellen, sich zu vermehren und zu wachsen, zu beeinträchtigen. Dies könnte auf ein neues Paradigma für eine Virustoleranz hindeuten, so der Wissenschafter. Er sieht eine mögliche symbiotische Beziehung zwischen Fledermäusen und Viren.
Die Forscher sind davon überzeugt, dass das von ihnen geschaffene Stammzellmodell ein außergewöhnliches Instrument für die Wissenschaft darstellt. Ihre Beobachtungen könnten wiederum zur Beantwortung wichtiger Fragen beitragen - etwa wie Fledermäuse Virusinfektionen tolerieren und ob sie genetisch Taktiken simulieren, die von Viren eingesetzt werden, um dem Immunsystem zu entgehen und damit zeitgleich einen fruchtbaren Boden für die Virusproduktion bilden.
Langlebig und immun
"Künftige Forschungen über Fledermausstammzellen werden sich direkt auf jeden Aspekt unseres Verständnisses der Fledermausbiologie auswirken, einschließlich der erstaunlichen Anpassungen an ihren Flug und ihre Fähigkeit, entfernte oder unsichtbare Objekte durch Echolokation zu orten - also die Ortung von Objekten, die durch Schall reflektiert werden", erklärt der Zellbiologe Thomas Zwaka. Fledermäuse sind zudem aufgrund ihrer extremen Langlebigkeit und ihrer ungewöhnliche Immunität ein Rätsel für die Wissenschaft.