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Neben den britischen Ideen über die Zukunft der Insel steht Migration im Fokus des EU-Gipfels. | Vorschläge zur Stärkung der Außengrenzen sorgen für Zwist unter den Staaten.
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Brüssel. Eine Debatte ohne Tabus: Was sich EU-Ratspräsident Donald Tusk für die Diskussion um die Zukunft Großbritanniens in der Union wünscht, ist derzeit kaum vorstellbar. Denn einige der Forderungen aus London stoßen in etlichen Mitgliedstaaten auf strikte Ablehnung. So wird es zwar am heutigen Donnerstag, wenn die Staats- und Regierungschefs zu ihrem Gipfeltreffen in Brüssel zusammen kommen, beim Abendessen vielleicht einen offenen Meinungsaustausch geben. Aber schon zuvor hat so manche Regierung klargemacht, dass es zumindest ein Tabu geben werde: Das Recht auf Personen-Freizügigkeit aufzugeben, komme nicht in Frage.
Einschränkungen dabei stehen jedoch auf der Wunschliste von Premier David Cameron weit oben. London möchte die Migration auf die Insel begrenzen und Sozialleistungen für andere EU-Bürger als britische beschränken. Erst nach vier Jahren Beitragszahlungen sollen die Immigranten Anspruch auf Sozialhilfe beispielsweise erhalten. Für Polen, von wo aus hunderttausende Menschen nach Großbritannien zum Arbeiten gegangen sind, ist dies nicht akzeptabel. Auch andere, vor allem osteuropäische, Mitglieder sowie die EU-Kommission machten deutlich: Die Umsetzung solcher Maßnahmen würde die Diskriminierung anderer Unionsbürger bedeuten. Nur unter der Bedingung, dass die Regeln auch für Briten gelten, wären Verhandlungen darüber denkbar, befand ein EU-Diplomat.
Sogar Deutschland, das dem Königreich ansonsten Unterstützung für dessen Reformwünsche signalisiert hat, sieht zumindest für Einwanderungs-Obergrenzen keine Möglichkeit. "Quantitative Regelungen", die die Freizügigkeit innerhalb der EU beschränken, könne es "aus unserer Sicht nicht geben", hieß es aus Regierungskreisen in Berlin.
Einigung verschoben
Mehr Spielraum gibt es hingegen bei so manch anderem Postulat. Ideen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit oder der Stellung nationaler Parlamente können etliche Regierungen einiges abgewinnen. Für eine größere Berücksichtigung jener Länder, die nicht Mitglied der Euro-Zone sind, kann London ebenfalls Verbündete finden - auch wenn dies umgekehrt die Währungsgemeinschaft vor neue Probleme stellen könnte.
Einer ernsthaften Debatte können die Mitglieder jedenfalls nicht entkommen, erklärte Tusk in seinem Einladungsbrief an die Gipfelteilnehmer. Den Fahrplan für eine Vereinbarung mit Großbritannien hat er jedoch bereits gestreckt: Eine Einigung noch heuer wird es nicht geben. Sie wird nun für Februar angepeilt.
Nicht minder mühsam gestaltet sich die Suche der EU nach Lösungen in der Flüchtlingskrise. Nachdem es bis jetzt nicht gelungen ist, sich auf einen fixen Schlüssel zur Verteilung der Asylwerber zu einigen und auch die Umsiedlung zehntausender Schutzsuchender aus Italien sowie Griechenland nur schleppend vorankommt, konzentrieren sich die Politiker nun auf ein anderes Element: die verstärkte Sicherung der Außengrenzen der Union. Ihre Vorschläge dazu präsentierte die EU-Kommission erst zwei Tage vor der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs. Was ihr schon einen bissigen Kommentar einbrachte, dass die Spitzenpolitiker wohl kaum Zeit haben würden, das Papier eingehend zu studieren.
Dennoch blieben Reaktionen darauf nicht aus. Während Deutschland sich - wie Österreich - positiv äußerte, sind etwa Polen, Litauen oder Ungarn skeptisch. Denn die Pläne der Kommission sehen einen massiven Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex vor sowie die Möglichkeit, auch ohne Einverständnis des betroffenen Staates bei der Kontrolle der Grenzen aktiv zu werden. Deren Überwachung ist aber nationale Angelegenheit, und daran wollen viele Regierungen festhalten.
Hoffen auf die Türkei
Eine erste Abstimmung könnte eine Gruppe von Ländern noch vor der Gipfelsitzung in großer Runde unternehmen. Schon gegen Mittag treffen einander nämlich fast ein Dutzend Spitzenpolitiker in Österreichs Vertretung in Brüssel. Neben Bundeskanzler Werner Faymann, seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werden die Regierungschefs Schwedens, Finnlands, Griechenlands, Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs erwartet. Eingeladen ist ebenfalls der türkische Premier Ahmet Davutoglu. Denn bei der Lenkung der Flüchtlingsströme setzt die EU nun nicht zuletzt auf die Türkei. Die Regierung in Ankara hat sich zur Eindämmung der illegalen Migration verpflichtet - und erhielt von der EU bedeutende finanzielle sowie politische Zusagen.
Die Zusammenkunft in kleinem Kreis soll einer ersten Bestandsaufnahme des Abkommens dienen. Allerdings könnte ebenfalls eine mögliche Übernahme von syrischen Flüchtlingen direkt aus der Türkei zur Sprache kommen. Dabei sieht Faymann eine Option, 40.000 bis 50.000 Asylwerber umzusiedeln, wie er der Tageszeitung "Die Welt" erklärte. Voraussetzung dafür sei aber ein so funktionierender Grenzschutz in der Türkei, "dass nur noch sehr wenige Flüchtlinge von dort in die EU gelangen". Ähnlich hatte sich auch Merkel geäußert. Lob gab es von ihr trotzdem: Ankara hätte schon Maßnahmen zur Eindämmung der Krise eingeleitet.