Einen ersten Verdacht, dass wir in einer pädagogischen Zeitenwende leben, erregte der ORF. Sein Online-Portal predigte gutes Benehmen im Büroalltag.
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Die "Zehn Modegebote fürs Büro", die vor einigen Tagen in ORF-Lifestyle nachzulesen waren, verblüfften mich. Vielleicht ist das der Public Value, von dem so viel die Rede ist. In den Benimmregeln steckten eine Menge Weisheit und ästhetischer Hausverstand, also Raritäten auf dem Marktplatz der Lebensratgeber. Vom Tragen von Sommerschlapfen wird auch in Tagen der Hitze abgeraten. "Je mehr sich der Schuh der Strandmode annähert, desto geringer ist die Bürotauglichkeit." Für allzu durchsichtige Fetzenkleider, die zwischen Kopierapparat, PC und Kaffeeautomat hin und her schweben, enthält das Regelwerk das Killer-Argument: "Je dünner der Stoff, desto klebriger der Schweißfleck." Auch Tanga-Blitzer wirken in der nüchternen Umgebung des Dienstleistungsgewerbes nicht nur dann merkwürdig, wenn eine Klimaanlage vom Plafond kühl ins Gesäß herunter weht. Auch der Augenkontakt mit entblößten Hinterteilen ist nicht in jedem Fall an- oder aufregend. Und Tattoos sollten, so hieß es in dem Ratgeber, während der Bürodienstzeiten als gut gehütetes Geheimnis betrachtet werden. Auspacken kann man sie auf dem Fußballplatz.
Die Autoren der Kleiderordnung scheinen sich etwas gedacht zu haben. Was wäre, wenn wöchentlich Fortsetzungen geboten würden? Etwa für das Benehmen in Öffis mit starker Berücksichtigung des Handy-Gebrauchs und des Verzehrs der in geschlossenen Gelenkwagen allseits beliebten Langos, Burgers und Dönerkebabs. Auch auf die längst vergessene Selbstverständlichkeit alter Tramway-Zeiten könnte man wieder zurückkommen, dass Sitzplätze denen gegönnt werden sollten, die sie nötig haben. Ach, das sagt sowieso das Tonband, wenn es nicht gerade vor dem Spalt zwischen Trittbrett und Bahnsteig warnt? Richtig, aber wer hört schon zu oder nimmt sich die automatisierte Ansprache gar zu Herzen.
Sollte es tatsächlich so sein, dass man wieder über die spätestens 1968 in Verruf gebrachten "alten Werte" redet? Einen Sinn hätten sie ja, und im Einzelfall kann die Beachtung eines Mindeststandards an Höflichkeit und Leistungsfreude sogar förderlich für den Einstieg ins Berufsleben und den Aufstieg auf der Karriereleiter sein. So gesehen heben sie das Bruttosozialprodukt.
Seit dem Konsum der Büro-Benimmregeln lese ich aufmerksam Zeitungen, und siehe da: Gutes Benehmen ist offenbar in aller Munde, ohne dass es mir aufgefallen ist. Schulschwänzen ist verpönt und wird mit Bestrafung der Eltern bedroht. Den Spinnern und Selbstdarstellern in Internet-Foren wird immer deutlicher administrativer Widerstand geleistet. Die Parlamentspräsidentin Barbara Prammer hätte nichts dagegen, wenn schlechtes Benehmen von Parlamentsabgeordneten mit einer Strafe von bis zu 1000 Euro belegt würde. Ja noch mehr: Politiker sollen, wenn sie zu unbedingter Haftstrafe verurteilt werden, zurücktreten, und zwar rasch. So etwas gehört sich nämlich.
Menschen, hört die Signale! Die neuartige Botschaft ist schon bei den Spitzen des Staates angekommen.